Medikamentenfreier Therapieansatz bei Demenzerkrankten
Tania Lalgi M. Sc. Psych. / Psychologie
Foto: Privat

Medikamentenfreier Therapieansatz bei Demenzerkrankten

Wuppertaler Psychologiestudentin Tania Lalgi forschte an Pionierinstitut in Salamanca mit in Wuppertal entwickelter App „Golden Memories“

Frau Lalgi, Sie haben Ihren Master in Psychologie an der Bergischen Universität gemacht. Im Zuge eines Forschungspraktikums haben Sie sich am Forschungsinstitut CRE Alzheimer Salamanca in Spanien mit demenzkranken Menschen beschäftigt. Wie sind Sie da überhaupt zu gekommen?

Lalgi: Das Thema habe ich über eine etwas ungewöhnliche Verbindung entdeckt. Während meines Masterstudiums habe ich als Werkstudentin im Bereich UX Design gearbeitet, wobei ich mich intensiv mit Usability-Testing beschäftigt habe. Das heißt, ich habe gelernt, wie man digitale Anwendungen benutzerfreundlich gestaltet und testet – immer mit dem Fokus auf die Bedürfnisse der Nutzer.
Zum Forschungsinstitut in Salamanca kam ich durch Dr. Carmen Pérez González, die Mitentwicklerin von Golden Memories, das mit Unterstützung der milkmoney GmbH entstanden ist. Sie suchte gezielt jemanden, der bei einem Forschungsprojekt zur Evaluation der App unterstützt. Ihre Idee war es, die App in einem Usability-Test mit Menschen mit Demenz zu überprüfen. Dabei sollten nicht nur technische Hürden untersucht werden, sondern auch, wie gut die Inhalte emotionale Reaktionen hervorrufen.
Dementsprechend kam es im Rahmen einer Kooperation zwischen der Bergischen Universität Wuppertal und dem Forschungsinstitut CRE Alzheimer in Salamanca zur Etablierung einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit, wobei ich dann für das Forschungspraktikum nach Spanien gegangen bin, um dort die App mit Patientinnen und Patienten zu testen.

Das Institut ist international für seine besondere Ausrichtung auf nicht-pharmakologische Therapien bekannt. Was bedeutet das?

Lalgi: Nicht-pharmakologische Therapien sind Ansätze, die ohne Medikamente auskommen und darauf abzielen, das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz zu fördern. Das CRE Alzheimer Institut nutzt hierfür das No-Do-Programm (Non-Drug Therapies for Dementia), das unter anderem Reminiszenz-, Musik- und Kunsttherapie sowie Bewegungstherapie umfasst.
Ein Beispiel ist die Arbeit mit biografischen Inhalten wie Fotos, Musik oder Alltagsgegenständen, die Erinnerungen aktivieren und positive emotionale Reaktionen hervorrufen. So können Patientinnen und Patienten etwa durch ein bekanntes Lied oder vertraute Gegenstände an Momente aus ihrer Kindheit erinnert werden. Diese Methoden stärken nicht nur die emotionale Verbindung zu Angehörigen, sondern auch das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität der Betroffenen – ein ganzheitlicher Ansatz. Dementsprechend genießt das Institut in diesem Bereich einen herausragenden internationalen Ruf, weil es innovative Methoden wie das No-Do-Programm nicht nur erforscht, sondern auch erfolgreich in die Praxis umsetzt.

Sie haben dort mit der Anwendung von „Golden Memories“, die von Dr. Carmen Pérez Gonzáles, einer in Wuppertal tätigen Wissenschaftlerin zusammen mit der Experience Design Agentur milkmoney entwickelt wurde, gearbeitet. Um welche Anwendung handelt es sich dabei?

Lalgi: Golden Memories ist eine digitale Anwendung, die Reminiszenztherapie auf eine moderne und zugängliche Weise ermöglicht. Die App verwendet personalisierte Inhalte wie Fotos und Geschichten, um Menschen mit Demenz dabei zu helfen, ihre Erinnerungen wieder aufleben zu lassen. Ein Angehöriger kann alte Familienfotos in die App hochladen und sie mit kleinen Geschichten versehen. Die Patientin oder der Patient kann dann durch diese Bildergalerie navigieren. Das weckt oft starke emotionale Reaktionen und hilft, verloren geglaubte Erinnerungen zu aktivieren.

Welche Erfahrungen konnten Sie mit den Patienten machen?

Lalgi: Eine Situation ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Während einer Sitzung zeigte ich einer Patientin ein Bild, das eine typische Flussszene in Spanien aus den 1930er- und 1940er-Jahren zeigte. Dieses und viele weitere Bilder wurden uns freundlicherweise vom Archivo de la Diputación de Salamanca zur Verfügung gestellt. Zunächst war die Patientin ruhig, betrachtete das Bild nur – doch nach einer Weile begann sie zu lächeln und erzählte plötzlich lebhaft von ihrer Kindheit. Das Bild erinnerte sie daran, wie ihre Mutter am Fluss Wäsche gewaschen hat und sie als kleines Mädchen geholfen hat. Während sie sprach, begann sie sogar, die Lieder zu singen, die die Frauen damals am Fluss sangen. Dieser Moment war sehr bewegend. Es war, als hätte das Bild die Erinnerung und die damit verbundenen Emotionen auf wundervolle Weise wiederbelebt. Solche Momente zeigen eindrucksvoll, wie kraftvoll Bilder sein können, um Erinnerungen zu aktivieren und eine Brücke zu längst vergangenen Zeiten zu schlagen.

Wäscherinnen, Sammlung Felipe Torres, Bräuche und Traditionen, Archiv des Provinzrats von Salamanca. Hinterlegung: Filmarchiv von Kastilien und León

Sie sagen: „Diese Erkenntnisse unterstreichen das Potenzial von 'Golden Memories' als wertvolles, nicht-pharmakologisches Werkzeug zur Unterstützung der Erinnerungsarbeit und zur Förderung bedeutungsvoller Verbindungen“. Diese Anwendung kann im Prinzip auch von Laien im privaten Bereich genutzt werden, oder?

Lalgi: Ja, definitiv. Die App ist sehr niedrigschwellig gestaltet und leicht zu bedienen. Angehörige können sie im privaten Rahmen nutzen, um Reminiszenztherapie zu leisten. Man kann alte Familienfotos digitalisieren und in der App mit kleinen Anekdoten oder Audioaufnahmen versehen. Die Patientin oder der Patient kann dann allein oder gemeinsam mit Angehörigen durch die Inhalte stöbern.
Ich finde es besonders wichtig, dass die App für Angehörige eine einfache Möglichkeit bietet, wieder mit ihren Liebsten in den Austausch zu kommen. Oft sind Gespräche mit Menschen mit Demenz schwierig, weil aktuelle Themen nicht mehr verstanden werden. Aber gemeinsame Erinnerungen – an frühere Reisen, Feste oder Erlebnisse – schaffen Nähe und verbinden.

Sie arbeiten heute als Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der LVR-Universitätsklinik in Essen. Können Sie dort Ihre Erfahrungen mit nicht-pharmakologischen Therapien mit einbringen?

Lalgi: Ja, definitiv. In der klinischen Arbeit sehe ich immer wieder, wie wichtig es ist, neben pharmakologischen Behandlungen auch nicht-pharmakologische Ansätze einzubinden. Besonders in der Arbeit mit älteren Patientinnen und Patienten sowie Menschen mit Depressionen oder kognitiven Einschränkungen sind Methoden wie Reminiszenz- oder Musiktherapie sehr hilfreich.
Ich nutze zum Beispiel gerne biografische Gespräche, bei denen wir gezielt über positive Erinnerungen sprechen. Solche Gespräche helfen, emotionale Barrieren abzubauen und das Selbstwertgefühl der Patientinnen und Patienten zu stärken. Langfristig wünsche ich mir, dass digitale Hilfsmittel wie Golden Memories stärker in den Klinikalltag von Gerontoeinrichtungen integriert werden. Besonders in Pflegeeinrichtungen könnten solche Anwendungen eine große Rolle spielen.

Wo kann man mehr über das Projekt ´Golden Memories` erfahren?

Lalgi: Informationen gibt es auf der Webseite des CRE Alzheimer Salamanca sowie in wissenschaftlichen Artikeln von Dr. Carmen Pérez González. Außerdem arbeiten wir daran, ein Manual für die Anwendung von Golden Memories zu publizieren. Interessierte können sich auch direkt an mich oder an Dr. Carmen Pérez González wenden. Wir freuen uns über den Austausch und darüber, wenn Angehörige und Pflegekräfte mehr über die Anwendung erfahren möchten. Die App ist sowohl im App-Store als auch im Gamestore frei zugänglich.

Weitere Informationen:

https://crealzheimer.imserso.es/web/cre-alzheimer
https://www.golden-memories.de/

Uwe Blass

Die Psychologin Tania Lalgi studierte ihren Master an der Bergischen Universität und arbeitet heute an der LVR-Universitätsklinik Essen in der Psychosomatischen Medizin.