Flutkatastrophe 2021: Studie gibt Einblicke in Gedanken von freiwillig Helfenden

27.07.2023|16:15 Uhr

Was bewegt Menschen, spontan in ein Katastrophengebiet zu fahren, um die betroffene Bevölkerung zu unterstützen und wie organisieren sich die Freiwilligen vor Ort? Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler*innen der Bergischen Universität Wuppertal, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der TH Köln mehr als 2.500 der sogenannten Spontanhelfenden befragt, die während und nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 im Einsatz waren. Die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichten sie nun in der Fachzeitschrift „Journal of Flood Risk Management“.

Beseitigung von Schlamm und Treibgut, Abbrucharbeiten, Sammeln und Verteilen von Spenden: Bei der Flutkatastrophe 2021 kamen viele Spontanhelfende u.a. ins Ahrtal, um die Aufräumarbeiten zu unterstützen. // Foto Colourbox

„Unsere Studie verdeutlicht das Potenzial von freiwilligen Helfenden für den Bevölkerungsschutz: Ohne die Zugehörigkeit in Einsatzorganisationen organisierten sich tausende Menschen insbesondere im stark betroffenen Ahrtal“, resümiert Studienautorin Marina Bier, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Arbeitssicherheit an der Bergischen Universität Wuppertal. Die Ergebnisse aus der Studie verraten noch weit mehr über die Spontanhelfenden, die im Juli 2021 insbesondere bei der Beseitigung von Schlamm und Treibgut, bei Abbrucharbeiten und dem Sammeln und Verteilen von Spenden geholfen haben. Beispielsweise auch, dass sie im Durchschnitt eine Anreise von 168 Kilometer hatten. „Diejenigen, die über die sozialen Medien erfahren haben, dass und wie sie spontan helfen können, sind signifikant sogar noch von weiter weg angereist als die Helfenden, die den persönlichen Austausch nutzten“, verdeutlicht Biers Kollege Dr.-Ing. Ramian Fathi, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit an der Wuppertaler Universität.

Erhöhter Digitalisierungsbedarf

Die Mehrheit, etwa ein Viertel der Befragten, engagierte sich zwischen vier und sieben Tagen. 14 Prozent blieben sogar länger als fünf Wochen in den betroffenen Gebieten. Dem anfänglichen Verkehrschaos begegneten die Spontanhelfenden mit selbstorganisierten Shuttle-Bussen, die knapp ein Viertel der Befragten für die Anreise zum Einsatzort nutzten. Die Kommunikation mit den Spontanhelfenden-Initiativen erfolgte insbesondere über soziale Medien wie Facebook und den Nachrichtendienst WhatsApp. Das, so die Wissenschaftler*innen, unterstreiche einmal mehr den erhöhten Digitalisierungsbedarf in den Strukturen der Katastrophenhilfe. Zudem äußerten über 90 Prozent der Befragten den Wunsch, eine digitale Austauschplattform zu etablieren, um Informationen wie beispielsweise zu Hilfsbedarfen und -angeboten dialogorientiert auszutauschen.

Über 97 Prozent der Befragten nahmen während des Einsatzes ein hohes Maß an Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt wahr. Außerdem konnte eine ausgeprägte Solidarität mit den Betroffenen beobachtet werden, die sich u. a. in identifikationsstiftenden Wortkreationen wie „SolidAHRität“ äußerte. Die Spontanhelfenden, das zeigt die Studie weiter, handelten in erster Linie selbstlos und schöpften Motivation aus ihrer eigenen Wertorientierung. In der Befragung äußerten sie ein ausgeprägtes Mitgefühl mit den betroffenen Menschen. Nichtsdestotrotz empfand knapp die Hälfte der Befragten die Fluthilfe mit Blick auf psychosoziale Faktoren beanspruchend.

Wunsch nach Integration in staatliche Katastrophenhilfe

Die Studie stellt ebenfalls heraus, dass eine Kooperation mit bzw. eine Integration von Spontanhelfenden in die Strukturen der staatlichen Katastrophenhilfe nur selten stattgefunden hat. Wo dies doch der Fall war, stieg auch die Zufriedenheit der Helfenden mit den Einsatzorganisationen signifikant. Die Mehrheit der Befragten (79,8 %) hält es für sinnvoll, Spontanhelfende in bestehende Strukturen der Katastrophenhilfe zu integrieren.

„Für die Integration von Spontanhelfenden in die Strukturen der Gefahrenabwehr sind Vorplanungen unter Berücksichtigung von Faktoren wie Kommunikation, Motivation und Arbeitssicherheit besonders wichtig“, so Marina Bier und ergänzt: „Die Studie zeigt, dass fast alle Spontanhelfenden – 90,5 Prozent – planen, sich bei einer erneuten Katastrophe wieder in der Katastrophenhilfe engagieren zu wollen.“

Link zur Studie

Die vollständige Studie im „Journal of Flood Risk Management“ ist kostenfrei abrufbar unter https://doi.org/10.1111/jfr3.12933

Kontakt:
Marina Bier, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Lehrstuhl für Arbeitssicherheit
Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik
E-Mail mbier[at]uni-wuppertal.de

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