Regenwürmer – kluge Bodenverbesserer
Prof'in Dr. Gela Preisfeld / Biologie
Foto: Sebastian Jarych

Der kluge Bodenverbesserer

Die Biologin Gela Preisfeld über den faszinierenden Organismus des Regenwurms

Bereits die alten Ägypter und Griechen wussten um ihre Bedeutung und sprachen sie heilig. Aristoteles betitelte sie ehrfürchtig als ´Eingeweide der Erde` und Charles Darwin widmete ihnen gar sein letztes Buch: Regenwürmer. Im Verhältnis zu ihrer Körpergröße kann man sie ohne weiteres als die stärksten Tiere der Erde bezeichnen. Ihr Organismus ist ein Faszinosum, über das die Wuppertaler Biologin Gela Preisfeld Spannendes zu erzählen weiß.

Der rege Wurm und seine Familie der Wenigborster

Obwohl viele Menschen denken, der Regenwurm heißt Regenwurm, weil er bei Regen an die Oberfläche kommt, sagt Preisfeld, dass er bereits im 16. Jahrhundert allgemein als der ´rege Wurm` bezeichnet wurde, weil er unermüdlich fresse und grabe. In unseren Breitengraden leben ca. 40 verschiedene Regenürmer, weltweit knapp 700. „Wenn wir Regenwürmer sagen, dann meinen wir die Tiere, die wir im Allgemeinen kennen“, erklärt die Biologin, „und das sind der Tauwurm (Lumbricus terrestris) und der etwas hellere Kompostwurm (Eisenia fetida).“ In der Literatur finde man sogar bis zu 3000 ähnlicher Würmer, weiß Preisfeld, aber da habe man auch nahe Verwandte mitgezählt. „Regenwürmer gehören zu den Ringelwürmern, den Anneliden.“ Und das könne man auch sehr gut nachvollziehen, wenn man sich so einen Regenwurm anschaue. „Der hat lauter Ringe, wie kleine Kettenglieder (Segmente), die hintereinandergeschaltet sind. Innerhalb dieser Ringelwürmer gibt es zwei große Gruppen, die Vielborster und die Wenigborster. Und der Regenwurm gehört zu den Wenigborstern.“ Zwei Jahre alt kann so ein Wurm in der Regel werden, man habe aber auch schon Exemplare von sieben und acht Jahren gefunden, die nicht Vögeln, Maulwürfen oder dem grellen UV-Licht zum Opfer gefallen waren.

Anmutiger Körperbau und harmonischer Bewegungsapparat

Der faszinierende Körperbau des Regenwurmes besteht aus vielen Segmenten, die hintereinandergeschaltet sind. „Jedes Segment ist grundsätzlich erst einmal gleich aufgebaut und wird am hinteren Ende des Wurms gebildet. Der Kopfteil ist das älteste und der Wurm wächst, indem von hinten immer neue Segmente gebildet werden“, erklärt die Biologin. Diese differenzieren sich dann später im vorderen Teil des Wurmes zu den Verdauungsorganen, Herz usw. aus. Jedes Segment habe zudem vier Borsten, die muskulär fest verankert seien und die der Wurm wie Spikes benutze, um sich festzuhalten. „Wenn man einen Regenwurm über Papier laufen lässt und lauscht, dann hört man es auch wirklich rascheln.“ Seiner ringförmigen Statur folgend, bewegt sich der beinlose Wurm durch Muskelkontraktionen fort. „Er hat einmal durch seinen ganzen Körper hindurch eine Ringmuskulatur. Jedes Segment kann sich kontrahieren und dadurch den Wurm dünner und länger machen. Gleichzeitig besitzt er eine Längsmuskulatur, die, wenn sie kontrahiert, den Wurm kürzer und dicker werden lässt.“ Zieht sich also die Ringmuskulatur im vorderen Bereich zusammen, schiebt sich der Wurm voran, während die Längsmuskulatur sich am Ende verkürzt und das Hinterteil nachschiebt. Zudem ist sein Körper auch in der Lage, ganze Segmentteile zu regenerieren. „Wird er im hinteren Teil abgetrennt und die lebenswichtigen Organe bleiben erhalten, dann kann sich das hintere Ende, wenn es nicht zu Infektionen kommt, regenerieren und wächst nach“, ergänzt Preisfeld. Das abgetrennte Hinterteil stirbt ab, da Gehirn und Mundöffnung nicht neu gebildet werden können.

Regenwurm
Foto: gemeinfrei

Der sexuelle Luxus der Zwitterwesen

Sowohl aufregend, als auch bizarr kann man das Sexualeben der Regenwürmer bezeichnen, denn Regenwürmer sind Zwitterwesen. „Sie besitzen beiderlei Geschlechter. Jeder Regenwurm hat männliche und weibliche Geschlechtsöffnungen und jeder Wurm befruchtet bei der Paarung seinen Partner“, erklärt die Wissenschaftlerin, und das sei sehr spannend. Wie viele andere doppelgeschlechtliche Tiere befruchten sie sich in der Regel nicht selbst, sondern bevorzugen Sex zu zweit. Dabei benehmen sie sich manierlich und geradezu zärtlich. „Regenwürmer gehören zu den sogenannten Clitellata, besitzen also ein Clitellum, einen Gürtel um einen Teil ihrer Epidermis“, erklärt Preisfeld.

Wer sich einen Regenwurm einmal genauer ansehe, könne in seinem vorderen Drittel die hellere, verdickte Struktur des Clitellums feststellen. In diesem Bereich sei die Epidermis, die äußere Hautschicht, mit vielen Drüsen ausgestattet. „Bei der Fortpflanzung kommen nun zwei Regenwürmer mit den vorderen Enden aus der Erde heraus und legen sich so aneinander, dass jeweils der Gürtel des einen der Samentasche des anderen gegenüberliegt. Dann scheidet dieses Clitellum Schleim aus, um die Körper aneinander zu binden. Die Spermien werden freigesetzt und es bildet sich zwischen den Tieren eine Spermarinne von beiden Seiten. Das Sperma fließt dann vom Regenwurm eins in die Samentasche des Partners. Das passiert in beiden Richtungen.“ Dazu setze der Gürtel nun zusätzlichen Schleim ab, der sich verhärte und in Richtung der Köpfe beider Würmer schiebe und so freigesetzte Eizellen und Spermien in einen Kokon zusammenfüge, den der Wurm durch Kontraktion schließlich an die Erde abgebe. „In diesem Kokon findet dann die Befruchtung statt. Nach ca. 90 Tagen beim Tauwurm und nach 16 Tagen beim Kompostwurm schlüpfen dann die kleinen Würmer.“

Filigranes Nervensystem

Das Nervensystem des Regenwurms ist sehr filigran, und obwohl er keine Augen hat, ist er dennoch lichtempfindlich. „Das Nervensystem bei Regenwürmern ist wie eine Strickleiter aufgebaut“ erklärt die Fachfrau. „An der Bauchseite liegen zwei Nervenstränge, die durch alle Segmente des Wurms durchgehen. In jedem Teilstück sind diese Längsnervenstränge durch Querverbindungen, wie Sprossen verbunden. Sie stellen den Kontakt zwischen den auch in jedem Segment vorkommenden Paar an Nervenzellkörpern, sogenannten Ganglien, und den Längsnervensträngen her. Diese sind im Kopfbereich mit dem Cerebralganglion, einem einfachen Gehirn verbunden und können so alle Informationen in jede Körperregion senden.“ Regenwürmer hätten zwar keine Sinnesorgane wie der Mensch sie habe, aber Sinneszellen mit Fotorezeptoren, die ganz besonders im Kopfbereich säßen. „Dort sitzen in der Haut nicht nur ganz viele Lichtsinneszellen, die dann hell und dunkel wahrnehmen und Informationen weitergeben können, sondern auch andere Rezeptoren, die z. B. den pH-Wert messen, weil die Tiere zu sauren Boden nicht vertragen können.“ Der Regenwurm habe Riesennervenzellen mit einem ganz großen Durchmesser, wodurch er Impulse ganz schnell weitergeben könne, um sich dann bei Gefahr schnell zurückzuziehen.

Mikroorganismen, Pilze und ein langer Verdauungsweg

Der rege Wurm ist meist nachtaktiv und nutzt zur Nahrungsaufnahme auch die Hilfe von Mikroorganismen und Pilzen. „Das zeigt, dass das überhaupt keine unintelligenten Tiere sind. Regenwürmer sind lernfähig, sie können sogar einem Stromschlag ausweichen“, sagt Preisfeld. „Sie holen die Blätter in ihre Wohnröhren und lagern sie dort erst einmal, indem sie sie mit ihrem Schleim an den Wänden festkleben. Dann kommen die Mikroorganismen und Pilze ins Spiel, ähnlich, wie man das bei den Blattschneideameisen kennt. Die vorverrotteten Pflanzen kann der Wurm dann aufnehmen und weiterverdauen.“ Und der Verdauungsweg ist beim Wurm besonders lang. „Das ist bei Organismen, die sich eher pflanzlich ernähren immer so. Wenn er die Nahrung aufnimmt, wird sie im Mund erst einmal angefeuchtet. Dann saugt der Schlund die Nahrung etwas nach hinten, drückt sie nach unten und schiebt sie durch Muskelkontraktionen in den Magen. Dort im Magen liegt auch Sand vor, denn der Wurm hat ja keine Zähne und kann nicht kauen, so dass sich der Magen dann immer zusammenzieht und mit dem Sand die Pflanzen zerreibt. Im Verdauungssystem des Tieres befinden sich Bakterien und andere Mikroorganismen, und die Nahrung wird dort mit deren Hilfe verdaut. Ihr Darm besitzt eine sogenannte Typhlosolis, das sind Einstülpungen der Darmwand, so dass sich die Oberfläche vergrößert, ähnlich wie bei uns in den Darmzotten. Dann ist mehr Oberfläche da, und es kann mehr verdaut werden.“

 

Regenwurm auf der Straße
Bild: Pixabay

Fluchtverhalten bei Prasselregen

Regenwürmer kommen bei Regen immer an die Oberfläche, obwohl gerade das Tageslicht oft tödliche Folgen hat. Sicher sei, so erklärt die Wissenschaftlerin, dass es nichts damit zu tun habe, dass Würmer im Wasser ertrinken würden, denn sie seien auch in der Lage, Sauerstoff über ihre weiche Epidermis aus dem Wasser zu filtern. „Wenn man sie auf der nassen Straße sieht, können sie dort nicht lange überleben, weil UV-Licht für sie tödlich ist. Sie haben keinen UV-Schutz.“ Zwei andere Gründe vermutet die Wissenschaft heute für die Flucht nach oben. „Der Sauerstoff ist zum einen leichter über die Luft, als über das Wasser aufzunehmen und sie fliehen auch nach oben, weil die Regentropfgeräusche den Vibrationen eines grabenden Maulwurfs ähneln. Es ist dann eine Schutzreaktion.“

Die Tapete des Bodenverbesserers

Eine französische Bauernweisheit sagt: ´Der liebe Gott weiß, wie man fruchtbare Erde macht, und er hat sein Geheimnis den Regenwürmern anvertraut. `

Wenn nun Regenwürmer ihre Röhren in den Boden bohren, sprechen Fachleute von der sogenannten ´Tapete`. „Das ist quasi die Auskleidung der Wurmröhre“, erklärt Preisfeld, „der Wurm scheidet ja permanent ein bisschen Schleim und Kot aus und da drin sitzen auch viele Mikroorganismen, Bakterien und Pilze. Die kleiden sozusagen die Wand des Rohres aus. Dadurch entsteht eine saugfähige innere Struktur, die man als Tapete bezeichnet.“ Überhaupt ist die Rolle des Regenwurms im Ökosystem unschätzbar wichtig. Ca. 100 Regenwürmer seien in einem normalen Gartenboden auf einen Kubikmeter zu finden, erklärt die Forscherin, man habe aber auch schon in gut durchlüfteten Böden 1000 Würmer gefunden. „In so einem Kubikmeter schaffen es die Tiere, ca. 20 Meter Gänge zu bauen und können dabei auch in die Tiefe gehen. Man hat schon Würmer in sieben Metern Tiefe gefunden, wenn der Boden durchlässig ist. Wir sagen ja, die Regenwürmer sind Bodenverbesserer, und das stimmt. Also wenn sie ihre Rohre bauen und dort die Blätter und organischen Substanzen hineinziehen, dann schaffen sie es auf jeden Fall schon einmal, dass sie die Nährstoffe im Boden verteilen. Sie sorgen dafür, dass Mineralstoffe auch in tiefere Bodenbereiche kommen und lüften durch ihre Gänge den Boden. Die Tapete wirkt wie ein Schwamm, kann also tatsächlich Feuchtigkeit aufnehmen und durchfeuchtet den Boden dadurch.“

Solch ein Boden könne einen Platzregen sehr gut aufnehmen. Aus dem Kot und dem ausgeschiedenen Humus bilde sich guter sauberer Humus, der mit Ton aus dem Boden

Komplexe einginge, die Nährstoffe binden können. Dadurch blieben die Nährstoffe wie in einem Depot im Wurzelbereich der Pflanzen und so würde den Wurzeln die Aufnahme der Mineralstoffe erleichtert.

Selbst mit starken Temperaturschwankungen können diese Wesen umgehen, weiß Preisfeld. „Sie sind schon faszinierend, denn auch wenn die Wetterbedingungen nicht so optimal sind, dann rollen sie sich zusammen und können die kälteren Temperaturen besser überstehen. So finden wir sie im zeitigen Frühjahr in der Erde. Sie fahren ihren Stoffwechsel total herunter und werden wieder aktiv, wenn es wärmer wird.“

Uwe Blass

Professorin Dr. Gela Preisfeld studierte, promovierte und habilitierte an der Universität in Bielefeld. Nach kurzen Forschungsaufenthalten in Australien und einer Vertretung an der Goethe-Universität Frankfurt/Main nahm sie 2006 den Ruf auf den Lehrstuhl Biologie und ihre Didaktik, Zoologie an der Bergischen Universität an.

 

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