Die fehlende menschliche Eigenschaft der Imagination
Der Einfluss Künstlicher Intelligenz (KI) nimmt auch in der Kunst stetig zu. Dazu ein Gespräch mit dem Kunstpädagogen Prof. Dr. Jochen Krautz von der Bergischen Universität
Herr Krautz, kann eine Maschine Künstler sein?
Krautz: Nein, auch ein Akkuschrauber, eine Kamera oder ein Bildbearbeitungsprogramm sind keine Künstler. Man kann damit aber Kunst machen. Ich glaube aber, dass KI-basierte Bildgeneratoren, denn darum handelt es sich ja hier, die Chance bieten, unser Verständnis von Kunst neu zu schärfen. Denn auch nach der Erfindung der Fotografie Mitte des 18. Jahrhunderts ging ja das Wort um, von nun an sei die Malerei tot. Ist sie aber bis heute nicht.
Grundsätzlich müssen wir wohl aufpassen, dass wir unsere Tendenz, Wirklichkeit anthropomorph zu betrachten, wie Robert Spaemann formulierte, nicht unbedacht auf Maschinen ausdehnen. Heißt: Mikroelektronische Systeme sind keine Personen. Daher können sie auch keine Kunst machen.
Auch wenn KI-generierte Bilder auf den ersten Blick beeindruckend und kreativ erscheinen: Sie basieren auf Wahrscheinlichkeitsrechnung, Mustererkennung und Kombinatorik, was mit menschlichem Kunstschaffen wenig gemein hat.
Zu dieser Täuschung - oder besser: unserer leichtfertigen Selbsttäuschung - trägt auch die terminologische Unschärfe bei: KI ist nicht „intelligent“. Sie denkt nicht, sie entscheidet nicht, sie empfindet nicht und sie ist nicht leiblich situiert, worin das Spezifikum menschlicher Intelligenz liegt. Eine Kollegin hat sehr treffend formuliert, KI habe so viel mit Intelligenz zu tun wie die Logistikbranche mit Logik. Also allenfalls formale Verfahren, die funktional genutzt werden – und eben auch missbraucht werden können.
Wie unterscheidet sich denn das Bildermachen der KI von dem des Menschen?
Krautz: Wir stellen in der Kunstdidaktik ja an jedes bildnerische Verfahren die Frage, was wir eigentlich genau tun, wenn wir malen, zeichnen, plastizieren, eine Installation bauen oder ein Video drehen. Das ist zentral, um die Verfahren mit den entsprechenden Hilfen lehren zu können. Dabei fragen wir immer danach, wie der jeweilige Zusammenhang von anschaulicher Wahrnehmung, bildhafter Vorstellung und bildnerischer Darstellung ist.
Stellt man sich diese Fragen für die Bildgenerierung der KI, wird es ziemlich interessant: Sie hat selbst ja keine Wahrnehmung, sondern wird mit Bilddaten gefüttert, die wir erstellt haben. Vor allem stellt sie sich nichts vor, sie verfügt nicht über die zentrale menschliche Eigenschaft der Imagination. Die Bilddarstellung ist ein rein technischer Ausgabevorgang auf Bildschirmen oder mittels Druckern. KI amalgamiert also die Wahrnehmungen und Vorstellungen von Millionen Menschen aller Zeiten zu technischen Darstellungen. Diese arbeiten nach dem Collageprinzip. Allerdings ist unklar, wie eine KI dabei gestalterische Entscheidungen trifft oder genauer: ob man überhaupt von gestalterischen Entscheidungen sprechen kann. Denn sie „weiß“ nichts von einem Motiv, einem Bildinhalt und deren Bedeutung. Sie berechnet Figurationen nach Wahrscheinlichkeitsprinzipien. Aus zehntausenden Objekten mit den Tag „Pferd“ wird ein Durchschnittspferd generiert – ohne zu wissen, was ein Pferd ist und welche Bedeutung es motivisch, kultur- oder kunstgeschichtlich hat. KI ist eine Rechenmaschine und rechnet nach Vorgaben, so wie ein Mixer mixt.
In gewisser Weise spiegelt sie also eine Art globalen in Bildern repräsentierten Vorstellungsraum. Weil der aber nur mit Vorhandenem operiert, operiert er notwendig sehr schematisch. KI produziert also zunächst Stereotypen, was weltanschaulich problematisch sein kann und in der Kunst meist Kitsch hervorbringt.
Künstler nutzen KI bereits zur Unterstützung ihrer Arbeiten. Inwiefern kann KI denn ein legitimer Partner eines Künstlers werden?
Krautz: Auch hier Vorsicht! Das Reden von „Partner“ personalisiert eine Technik in durchaus problematischer Weise: Ist mein Fahrrad oder mein Auto mein Partner beim Fahren? Sind Alexa oder Siri meine Partnerinnen? Gewiss, das empfinden viele Menschen inzwischen so. Aber welche Folgen hat das eigentlich?
In der Kunst kann KI ein Instrument sein so wie Pinsel und Farbe, Meißel und Beitel, Kamera und Bildbearbeitungsprogramm. Kunst entsteht aber nicht zwangsläufig, wenn ich mir das alles im Künstlerbedarf gekauft habe (auch wenn deren Werbung das gerne nahelegt). Genauso wenig, wenn ich KI bediene (auch wenn die genauso finanziell motivierten Tech-Konzerne das gerne suggerieren).
Allerdings hat KI eine Eigenlogik, die wir eben nicht mehr nachvollziehen, die sie über den Status als Instrument hinaushebt. Ein Pinsel ist mit Erfahrung weitgehend beherrschbar; eine KI nicht. Weil sie zunehmend Entscheidungen trifft, die wir nicht mehr nachvollziehen können, erscheint sie uns als „kreativ“. Tatsächlich formuliert der Nutzer einen Prompt und das Programm generiert aus der Kombination von Algorithmen (als Handlungsanweisungen für den Computer) und einer (bei KIs riesigen) Datenbasis, die wahrscheinlichste Schnittmenge.
Dabei gibt es einen „Rückschlag“ der Maschine: Wer promptet, erteilt nicht nur Befehle, sondern erhält sie auch, weil er sich in seiner Logik des Maschinenprogramms anpassen muss. Sicher, ich muss mich auch der Logik des Pinsels, mit dem ich male, oder des Holzstücks anpassen, das ich bearbeite. Aber: Hier passe ich mich der von anderen programmierten Logik an, selbst wenn ich versuche, dagegen zu arbeiten. Ich schränke also den Raum künstlerischer Freiheit von Beginn an selbst ein.
Daher verändert die KI auch unsere Wahrnehmungen und Vorstellungen. Das ist nicht unbedenklich, denn damit greift die Maschine in den realen Raum und unsere menschlichen Interaktionen aktiv ein. Sie formt unsere Vorstellungen und Haltungen. Wer also KI als „Partnerin“ eigener Kunst nutzen will, muss sehr genau hinsehen, wer hier eigentlich wen benutzt.
Kann KI alleine Kunst erschaffen?
Krautz: Grundsätzlich nein. Aber das Phänomen hilft, zu klären, was denn eigentlich Kunst sei: Wenn wir das Imitieren oder Vermischen von Kunststilen und globalen Bildmustern für Kunst halten, stimmt eben etwas mit unserem Kunstverständnis nicht.
Bildende Kunst resultiert aus unserem Weltverhältnis: Wir versuchen damit irgendwie, diesem Leben eine Sinndeutung abzuringen, auch und gerade dann, wenn wir es für sinnlos halten. Kunst schafft also Sinnhorizont, sie resultiert aus einem existenziellen Weltverhältnis. Als Kunstschaffende setzen wir uns also in eine Relation zur Welt, zu Anderen, die unsere Kunst betrachten, und durch beides zu uns selbst.
Da KI nicht lebt, hat sie keine existenziellen Fragen. Daher kann sie keine Kunst schaffen. Sollte sie Bilder oder Objekte schaffen, die wir für Kunst halten, müssen wir uns fragen, warum wir das tun. Entweder stimmt unser Qualitätsurteil nicht oder wir deuten eben unsere menschlichen Fragen in die KI-Produkte hinein.
Anders formuliert, gewissermaßen im Slang von Künstlerinnen und Künstlern: Die sagen gerne, sie „arbeiten an einem Problem“ oder „ich interessiere mich derzeit für …“. Eine KI kann aber selbst gar kein künstlerisches Problem haben und sie interessiert sich für nichts. Wir können sie evtl. nutzen, um unser eigenes Problem zu bearbeiten; aber so verstanden bleibt die KI Instrument, ist also nicht selbst kunstschaffend.
Die Sorge mancher Künstler ist, dass sie sich selber durch KI abschaffen. Wenn also ein Algorithmus genauso schöpferisch tätig werden kann wie ein Mensch, ist diese Sorge doch berechtigt, oder?
Krautz: Wenn ein Algorithmus schöpferisch wäre, dann wäre das so, ja – aber dem ist eben nicht so. Schöpferisch tätig sind diejenigen, die ihn programmieren.
Auf das eigentliche Problem verweist aber der erste Teil der Frage: Viele Künstlerinnen und Künstler sind seit langem dabei, sich in einer Art „vorauseilendem Gehorsam“ an die technischen Bilder anzupassen, so analysiert das die Kollegin Gesa Foken. Und das nicht nur ästhetisch, sondern auch in einer Mimikry der technischen Produktionsweise: Sie imitieren quasi maschinelle Arbeitsprozesse auch dann, wenn sie analog arbeiten. So schaffen sich Künstlerinnen und Künstler in der Tat selbst ab, wie sie sich der Maschinenlogik unterwerfen.
Das Phänomen KI müsste für die Kunst zu einer Neubesinnung auf die Frage des humanen Kerns der Kunst führen, zu einer Neubetonung ihres Mit- und Weltbezugs, ihrer Materialität und Verantwortung.
Diese Systeme lernen mit Unmengen an Daten und verarbeiten Bilder und Texte aus dem Internet, deren Macher dieser Verwendung nicht zugestimmt haben, aber auch nichts dagegen tun können. Werden da Künstler ihrer Identität beraubt?
Krautz: Das Anverwandeln der Werke anderer gehört grundsätzlich zur künstlerischen Arbeit. Das Prinzip der „imitatio auctorum“ (Nachahmung der Werke anderer) war und ist ein zentrales künstlerisches Lern- und Arbeitsprinzip.
Versteht man „Mimesis“ als kreatives Sich-Anähneln an ein Vorbild, wie Christoph Wulf formuliert, dann zeigt sich auch hier wieder, dass KI keine Person ist, die dazu fähig wäre. Sie verarbeitet Unmengen an Daten und kombiniert sie zu anderen Text- oder Bilddaten nach kaum mehr nachvollziehbaren Rechenoperationen. Insofern ja: Die genannte Gefahr besteht m.E. in der Tat, weil KI ja keine Rechenschaft darüber abgibt und die Betreiberfirmen letztlich ungefragt geistiges Eigentum massenhaft verwerten. Bereits jetzt ist es so, dass die KI-Betreiber faktisch Werke anderer gebrauchen - oder schärfer formuliert: stehlen – um selbst Profit zu generieren, dabei aber die Lebensgrundlage der angewandten Kreativbranche zu zerstören droht. Das wäre auch juristisch genauer zu betrachten.
Selbst wenn Künstler in Zukunft wiedersprechen dürfen oder um Erlaubnis gefragt werden, die aktuelle Generation der generativen KI hat mit ihren Werken gelernt. Manche der Systeme sind Open Source und damit frei verfügbar. Jeder kann damit Stile imitieren. Muss sich die Kreativbranche, wenn diese Tools über kurz oder lang Standard werden, in Prozessen und auch in Kompetenzen grundlegend wandeln müssen?
Krautz: Also, „Stile imitieren“ ist wie gesagt, keine Kunst. Was die Kreativbranche in ihren angewandten Feldern angeht, stellt sich die Frage in der Tat anders. Was man etwa aus dem Design hört, wird KI längst in Entwurfs-, Test- und Qualitätssicherungsprozessen eingesetzt. In letzteren spart man damit analoge oder menschliche Arbeitsgänge ein. In Entwurfsprozessen lässt man KI erste Entwurfsserien machen, um die Breite des Bekannten und Naheliegenden zu überblicken. Und womöglich arbeitet man damit weiter, aber sie ersetzen die Entscheidung nicht.
Richtig eng wird es für Katalog-Fotografen, Illustratorinnen, Layouter, Kampagnendesignerinnen, Webdesigner, Werbefilmerinnen u.a., weil deren Standardarbeiten längst von KI erledigt werden: Man braucht keine Models mehr, kein Studio, um einen Modekatalog oder Produkte durchzufotografieren, kein Filmset mehr für Werbevideos usw. Es gibt ja schon vordefinierte Prompts für alles Mögliche vom Layout, über Farbsets bis zu ganzen Werbekampagnen.
Daher scheint mir für Kunst wie Design zentral: Wenn KI Bilder und Entwürfe quasi automatisch generiert, verschiebt sich die zentrale Aufgabe der Gestaltenden auf deren Beurteilung. D.h. das künstlerisch-gestalterische Qualitätsurteil wird immer zentraler. Denn die KI kann Gestaltungsqualität nicht beurteilen. Solche Urteile hängen eben von Intentionen, Form,-Inhalts-Zusammenhängen und Kontexten ab.
Künstlerisch-gestalterische Urteilskraft lässt sich wiederum nur durch geübte eigene, v.a. analog geübte Gestaltungspraxis und reflektierte Rezeptionserfahrung bilden, das ist gesichertes Wissen mindestens der Kunstpädagogik. Die grundlegenden künstlerischen und gestalterischen Kompetenzen ändern sich also gerade nicht; sie werden sogar immer wichtiger, wenn man sich der KI nicht ausliefern will. Insofern rückt die Bildung künstlerisch-gestalterischer Urteilskraft in den Fokus.
Alles verändert sich, so auch die Kunst. Bildbasierte KI gibt es auch bereits im schulischen Kunstunterricht. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, den Einsatz von KI im Kunstbereich zu steuern?
Krautz: Da müssen wir differenzieren: Der Kunstbereich ist grundsätzlich frei in dem, was er macht. Da kann man nur hoffen, dass die dort Tätigen verantwortungsvoll mit der Frage umgehen und sich der weitgreifenden Implikationen und Gefahren bewusst sind. Allerdings sind die angesprochenen Fragen des Urheberrechtsschutzes auf politischer Ebene dringend anzugehen.
Der Kunstunterricht hat einen normativen Horizont: D.h., er ist Teil schulischer Bildung, die laut Verfassungen immer noch auf Mündigkeit und Mitmenschlichkeit zielt. Insofern kann KI nicht ohne sehr genaues pädagogische und didaktische Abwägen Teil des Unterrichts sein. Sie muss bei Verwendung grundsätzlich immer in ihrer Problematik, ihren Möglichkeiten und Grenzen mitreflektiert werden. Denn sonst verlieren wir eben jenen humanen Grund der Kunst.
Und nicht nur Kunstunterricht muss sich grundsätzlich fragen, ob wir die Schulzeit nicht zum Erwerb jener grundlegenden Fähigkeiten brauchen, die wir zum halbwegs mündigen Umgang mit digitaler Technologie benötigen, aber eben nicht an und mit den Technologien selbst erwerben können. Womöglich müssen wir viel stärker komplementär denken: Was gehört heute in die Schule, dass die Kinder und Jugendlichen in der nahezu vollständig digitalen Lebenswelt gerade nicht mehr lernen?
Für den Kunstunterricht heißt das: Ist nicht analoges Zeichnen und Bauen die Voraussetzung, sinnvoll gestaltend mit digitalen Technologien umzugehen? Und sind die sinnlichen und leiblichen Erfahrungen, die dabei zu machen sind, nicht so wesentlich, dass wir sie den jungen Menschen ermöglichen sollten, gerade weil sie viele davon nach der Schule kaum mehr machen werden? Müssen wir nicht die wahrnehmbare Welt, die eigene Vorstellungsbildung und die Möglichkeiten selbst formbildend und handgreiflich zu gestalten umso stärker in den Mittelpunkt der Schule rücken, je weiter sie aus dem Horizont der Kinder und Jugendlichen verschwindet? Muss Schule womöglich ganz generell analoger und leiblicher werden, wenn die Welt digitaler und körperloser wird? Brauchen wir nicht gerade verstärkt „analoge Kompetenzen im digitalen Zeitalter“, wie Gernot Böhme treffend formuliert hat?
Das sind unzeitgemäße Gedanken, ich weiß, weil sie der scheinbar zwangsläufigen technischen Entwicklung bzw. deren ökonomischen Verwertungsinteressen entgegenstehen. Aber: Der Künstler und Schriftsteller John Berger hat schon vor dreißig Jahren angesichts der Zunahme körperloser Bilder einmal formuliert, dass etwa Malen heute immer mehr zu einer Art Widerstand gegen das Regime der Virtualität wird. Vielleicht ist es daher besonders zeitgemäß, das scheinbar Unzeitgemäße zu tun. In der Kunst, im Kunstunterricht und darüber hinaus.
Uwe Blass
Prof. Dr. Jochen Krautz studierte Kunst, Latein und Erziehungswissenschaften in Wuppertal und Köln. Seit 2013 lehrt er als Professor Kunstpädagogik in der Fakultät Design und Kunst der Bergischen Universität.