Gedenkstättenpädagogik in der Gedenkstätte Auschwitz
Prof. Dr. Juliane Brauer, Dario Treiber / Geschichte
Foto: UniService Transfer

Gedenkstättenpädagogik in der Gedenkstätte Auschwitz

Exkursion der Bergischen Universität mit dem Carl-Fuhlrott-Gymnasium beschreitet neue Wege, um Studierenden und Schüler*innen eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust zu vermitteln.

Mitte August startet unter der Leitung der Historikerin Prof. Dr. Juliane Brauer und ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dario Treiber eine außergewöhnliche Exkursion mit Studierenden der Bergischen Universität und Schüler*innen des Carl-Fuhlrott-Gymnasiums in die Gedenkstätte Auschwitz.
Insgesamt 15 vorwiegend Lehramtsstudierende sowie 25 Schüler*innen des gerade zu Ende gegangenen neunten Gymnasialjahrgangs haben sich in den letzten Monaten intensiv in Wuppertal mit dem Thema Holocaust auseinandergesetzt und beschreiten in extra dafür vorbereiteten Workshops neue Wege der Gedenkstättenpädagogik. „Gedenkstätten sind so vieles“, erklärt Brauer, „das sind Friedhöfe, Museen, Archive und gleichzeitig aber auch Lernorte. Diese ganze Vielzahl an Funktionen zusammenzufassen, ist eine riesengroße Herausforderung für die Gedenkstättenarbeit, dabei werden diese Lernorte oft auf Demokratielernen reduziert.“ Das zeige sich daran, dass man Lernende dorthin schicke, damit sie als bessere Demokraten wieder herauskämen. „So arbeiten häufig Gedenkstätten, aber das hilft meistens nicht für die individuelle Auseinandersetzung.“ Für das historische Lernen sei dieser moralische Kontext, diese Normativität, die dahinterstecke, ziemlich schwierig und blockiere eher die Lernenden. „Wir haben daran gearbeitet, diesen normativen Anspruch aufzubrechen“, sagt die Professorin für Geschichte und ihre Didaktik. Es gehe nicht darum, was man an diesem Ort lernen und fühlen müsse, oder wie man am Ende den Ort verlasse, sondern was jeder und jede individuell für sich selber brauche und als subjektiv lernender Mensch mitnehme. „Und so verstehen wir ja auch Didaktik, vom Subjekt her gedacht. Der Einzelne muss sich positionieren, um für sich selber etwas zu erkennen und nicht um etwas Vorgegebenes zu übernehmen“, erläutert Brauer.

Carl-Fuhlrott-Gymnasium wird Kooperationspartner

Als die größte organisatorische Herausforderung musste zunächst ein für Schule und Universität geeigneter Zeitraum ermittelt werden, denn, erklärt Brauer, „man muss wissen, eine Kooperation mit einer Schule ist herausfordernd. Es gibt einen anderen Rhythmus, andere Bedingungen, Schulen arbeiten anders, haben andere Ferien und auch der Tag ist anders strukturiert. Das hat alles trotzdem wunderbar funktioniert.“ Die Vorarbeit dazu stammt von Christian Kuchler, einem Aachener Kollegen, berichtet Treiber, der über Exkursionen deutscher Schulen nach Auschwitz gearbeitet habe und den Organisatoren eine Liste mit Wuppertaler Schulen zukommen ließ, die in der Vergangenheit Besuche vor Ort durchgeführt hatten. Treiber nahm Kontakt zu allen auf und schnell kristallisierte sich das Carl-Fuhlrott-Gymnasium (CFG) als die perfekte Kooperationsschule heraus. „Das CFG ist sozusagen unsere Idealbesetzung, denn wir brauchten eine Klasse Anfang des 10. Schuljahres, die in der 9. Klasse NS-Geschichte besprochen hatten“, sagt Brauer, „zudem haben die Verantwortlichen uns ihre Begeisterung für dieses Projekt auch immer wieder gespiegelt.“ Sowohl Studierende als auch die Schüler*innen haben sich für die Teilnahme an der Exkursion mit einem Motivationsschreiben beworben.

Anderthalb Jahre Vorbereitung münden in …

Wie vermittelt man aber jungen Menschen im 21. Jahrhundert die Geschichte des Holocaust?
Das Dozierendenteam der Bergischen Universität bot zwei dazu passende Lehrveranstaltungen an, in denen sich die Studierenden, die sich in fünf Arbeitsgruppen zu je drei Personen aufteilten, auf ihre Workshopangebote vorbereiteten, um für die mitreisenden Schüler*innen vor Ort gedenkstättenpädagogische Angebote durchzuführen. „Inhaltlich“, sagt Treiber, „sind wir mit den vorbereiteten Lehrveranstaltungen so verfahren, dass es in der einen darum ging, den Studierenden historisches Wissen über die Geschichte der Konzentrations- und Vernichtungslager aber auch die Geschichte der Gedenkstätte Auschwitz an die Hand zu geben und auf der anderen Seite tiefer in die Thematik der Gedenkstättenpädagogik einzusteigen.“ Dazu gehörten u.a. die Diskussion des Konzeptes Erinnerungskultur, Funktionen von Gedenkstätten, Konzepte wie Dark Tourism und Diskussionen über das Thema Emotionen und historisches Lernen. Denn auch das gelte es zu bedenken, erläutert Brauer, ein solcher Ort könne überwältigend sein, und man müsse sich fragen, wie eine Gedenkstätte und wie die Besucher*innen damit umgehen?
Ein Umstand, der die beiden Organisatoren herausforderte, war die Tatsache, dass sich die Studierenden in Bezug auf ihre erste Begegnung mit dem Ort und auch auf die Verantwortung den Schüler*innen gegenüber besorgt zeigten. „Die Studierenden, die dann schließlich mitkommen werden, waren zunächst unsicher, weil sie noch nicht selber an diesem Ort waren und sich die Frage stellten: ´Was macht das mit uns? `“, erklärt Brauer. Daher habe man nachjustiert und den jungen Workshopleitern eine Mitarbeiterin als Coach zur Seite gestellt, die für die nötige Gruppendynamik sorgte sowie Reflexionsmethoden mit ihnen einübte. „Unser letztes Blockseminar hat gezeigt, dass es funktioniert. Wir haben da eine ganz tolle Truppe“, freut sich die Wissenschaftlerin.

Haupteingangstor des KZ Auschwitz
(Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0)

… die Exkursion

Die Exkursionsteilnehmer werden in Auschwitz zunächst an zwei Führungen durch die Gedenkstätte Auschwitz I sowie die Gedenkstätte Auschwitz / Birkenau teilnehmen. „Dann haben wir aber vor allem ganz viel Zeit vor Ort, die die Studierenden nutzen werden, um sich mit den Schüler*innen aus unterschiedlichen Perspektiven dem Thema anzunähern“, sagt Treiber. „Wir fahren jetzt im August nach Auschwitz, und dann wird sich dieser Ort vielleicht nicht so zeigen, wie die Schüler das erwarten. Es wird sonnig und grün sein. Wie begegnet uns der Ort jetzt? Wie können wir eine Brücke schlagen zwischen uns heute und dem, was dort passiert ist?“ An dieser Stelle arbeiten die Studierenden dann mit ihren vorbereiteten Workshops. „Dann kommen die Kreativmethoden zum Einsatz, die bei der Verarbeitung der Thematik helfen“, fährt Brauer fort. „Das sind keine klassischen Methoden, mit denen sie arbeiten wollen, sondern sie machen etwas ganz Neues.“

Geschichte geht von mir selber aus

„Eine Gruppe z. B. macht Digital Storytelling, d.h. sie nehmen selbst Fotos auf, arbeiten mit Quellen in Form von digitalisierten Interviews, Fotos, Texten unterschiedlichster Art oder Zeichnungen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Mit diesen Quellenportfolios, die die Studierenden vorbereitet haben, sollen nun die Schüler*innen eine digitale Geschichte, von sich selber ausgehend, erzählen.  Also wir sind heute hier, haben eine Führung durch den Ort bekommen und fragen uns, was ist uns jetzt wichtig? Was wollen wir noch erforschen? Und das wird gefilmt.“ Eine weitere Gruppe arbeitet mit Musik, die in den Konzentrationslagern auch eine wichtige Funktion hatte, denn sowohl im Männerlager Birkenau, als auch im Frauenlager, gab es jeweils ein Orchester. „Das Ziel ist, dass sie vielleicht fiktive Briefe an die Musiker und Musikerinnen schreiben, die überlebt haben.“ Auch mit Fotos wird gearbeitet. Dazu Treiber: „Eine Gruppe beschäftigt sich mit Fotografien, sowohl mit historischen Fotografien aber auch mit Fotografien, die die Schüler bei den Führungen selber aufnehmen, um verschiedene Perspektiven auf den Ort sichtbar zu machen.“ Wieder andere arbeiten biographisch mit Lebensläufen Wuppertaler Jüdinnen und Juden, deren Namen auf den sogenannten Stolpersteinen in der Wuppertaler Innenstadt verewigt wurden.

Studierende in der Lehrerrolle

In den Workshops schlüpfen die Studierenden vorübergehend in die Lehrendenrolle. Dies bedurfte einer zusätzlichen starken Anleitung, zumal die Vermittelnden zum Teil nur knapp zwei bis fünf Jahre älter sind als die schulischen Workshopteilnehmer. „Da haben wir hoffentlich im Laufe der Zeit genügend Sicherheit vermittelt, so, dass wir beide nun ´nur` noch da sind. Sie fühlen sich nun sattelfest genug, um die Lehrendenposition einzunehmen. Sie haben auch die Schüler des 9. Jahrgangs schon kennengelernt, haben Gruppen gebildet, sind also auch im Kontakt miteinander. Unsere Herausforderung wird nun sein, diese Zusammenarbeit gut zu begleiten und zu beobachten“, sagt Brauer. „Die Arbeit war und wird noch einmal sehr emotional, so, dass wir danach schauen, ob und wie wir es präsentieren möchten. Wichtig ist in erster Linie eine produktive und selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit dem Thema.“

Uwe Blass

Prof. Dr. Juliane Brauer lehrt Geschichte und ihre Didaktik in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihre Forschungsschwerpunkte im Bereich der Geschichtsdidaktik sind Emotionen und historisches Lernen, Musik im Geschichtsunterricht, Imagination und historisches Lernen sowie digitale Geschichtskulturen. Für die Neuere und Neueste Geschichte forscht und lehrt sie vor allem zur Geschichte des geteilten Deutschlands.

Dario Treiber arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team Geschichte und ihre Didaktik.

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