Links: Katharina Andrea Kalthoff / Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe „Doing Trust“
Rechts: Prof. Dr. Cécile Stephanie Stehrenberger / Wissenschafts- und Technikforschung
Foto Stehrenberger: Friederike von Heyden
Foto Kalthoff: Privat

Wie funktionieren Vertrauenspraktiken?

Prof. Dr. Cécile Stephanie Stehrenberger und Katharina Andrea Kalthoff über das interdisziplinäre Projekt „Doing Trust“

„Als interdisziplinäre Forschungsgruppe untersuchen wir Praktiken, Techniken und Strategien des Vertrauens in einer Zeit, die mit eskalierenden Krisen und Katastrophen assoziiert wird“, sagt die Geisteswissenschaftlerin Katharina Kalthoff, die, zusammen mit der Professorin für historisch-komparative Wissenschaft- und Technikforschung, Cécile Stehrenberger, sowie weiteren Kolleginnen und Kollegen unterschiedlichster Fachrichtungen herausfinden will, wie Vertrauenspraktiken in diesen Zeiten funktionieren.

Ein Findungsprozess

Der Findungsprozess sei eine mehrere Semester dauernde Entwicklung gewesen, erklärt Stehrenberger, denn das Thema ‚Vertrauen‘ interessiere viele Wissenschaftler*innen mit unterschiedlichen fachlichen Ansätzen. So habe sich letzten Endes eine kleinere Gruppe konstituiert, die dann Akzente gesetzt habe, in denen u.a. das Bewältigen von Katastrophen und Praktiken dazu untersucht werden. „Das ist ein Prozess, und da kann man beobachten, wie Forschung läuft.” 

„Aktuell finden sich unter ‚Doing Trust‘ an der Bergischen Universität die Literatur- und Kulturwissenschaften, die Philosophie, die Geschichtswissenschaft, die Psychologie, sowie der Bevölkerungsschutz und die Informatik“, erklärt Kalthoff und Stehrenberger ergänzt: „Viel interdisziplinärer geht es eigentlich nicht, und das macht das Ganze spannend und attraktiv. Es ist wichtig, dass solch ein Thema aus einer Vielfalt an Perspektiven betrachtet wird. Diese Herausforderung lässt uns natürlich auch über das ‚gemeinsame Nachdenken‘ Dinge lernen, von denen wir überzeugt sind, dass sie nicht nur für dieses, sondern auch für andere Projekte, die mit Universität und Stadtgesellschaft zu tun haben, von Vorteil sein werden.“ Seit 2020 trifft sich zudem in jedem Semester auch die Arbeitsgruppe ‚Doing Trust‘, um die Diskussion der Gruppe über disziplinäre Grenzen hinweg zu fördern, gemeinsam Texte zu diskutieren und Gelegenheit zu bieten, eigene Projekte aus der Perspektive des Vertrauens und Misstrauens zu betrachten.

Handschlag
Foto: Pixaby

Vom Workshop am Campus zur Abendveranstaltung in der City

Bereits in der Anfangsphase boten die Projektorganisator*innen Workshops u.a. zum Thema ‚Vertrauen, Krise, Katastrophe‘ auf dem Campus an, um herauszufinden, wie Vertrauenspraktiken vor prekärem Hintergrund funktionieren. Dazu luden sie neben Wissenschaftler*innen der Gruppe auch externe nationale und internationale Vertrauensforscher*innen an die Bergische Universität ein, die ihre Projekte und Erkenntnisse vorstellten.
„Im kommenden Wintersemester beschäftigen wir uns in der AG Doing Trust mit dem Zusammenhang von Genre und Vertrauen“, fährt Kalthoff fort. Genres wie das politische Essay, das Theater, der feministische Science-Fiction-Roman oder das genreübergreifende Storytelling bieten allesamt Themen, die besonders geeignet seien, um sowohl Vertrauensfragen zu behandeln, aber auch Misstrauensfragen zu stellen. Auch außeruniversitär Interessierte sind dazu herzlich willkommen. „Wir wissen natürlich aus den Erfahrungen anderer Workshops, dass man auch rausgehen muss, um interessierte Bürger*innen zu erreichen“, sagt Stehrenberger. Dabei sei ein Nachdenken über neue Formate wichtig, die man an ein diverseres Publikum anpassen müsse. „Wir haben nun auch den Schritt gewagt, sozusagen als Rahmenprogramm von Workshops, am Abend in die Stadt zu gehen.“ Bisherige Veranstaltungen in der Wuppertaler Kulturstätte LOCH mit den Themen ‚Vertrauen und Fremdheit/Vertrautheit‘ und ‚Vertrauen in KI in Zeiten von ChatGPT‘ seien sehr gut angekommen.

Auch Publikationen sind bereits aus der Gruppe hervorgegangen, darunter eine Sonderausgabe des Journals Diegesis, darin etwa ein Artikel zum Thema ‚Krisenkommunikation am Beispiel der Chempark Explosion in Leverkusen‘, der das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen Wissenschaftsgeschichte und Bevölkerungsschutz der Bergischen Universität ist, sowie eine bald erscheinende Ausgabe der Kulturwissenschaftlichen Zeitschrift.

Gastgeschenk
Foto: Pixaby

Gemeinsame Praktiken schaffen Vertrauen

Vertrauen könne durch Praktiken ausgedrückt werden und diese Vertrauenspraktiken begegneten uns im Alltag im ganz gewöhnlichen Miteinander, umschreibt Kalthoff das Phänomen. „So kann eine vertrauensbildende Praktik beispielsweise ein Gastgeschenk sein oder, noch alltäglicher, ein Handschlag. Bei letzterem hat uns die Pandemie vor Augen geführt, wie Krisen solche Praktiken verändern und sie überhaupt erst als Praktiken des Vertrauens markieren“, sagt sie, denn der Handschlag wurde schnell durch andere Gesten des Begrüßens ersetzt. Ob mit dem Ellbogen, der Faust oder gar mit den Beinen bekräftigten die Menschen ihre Sympathie zu ihrem Gegenüber. „Und gleichzeitig gilt der Handschlag als die Praktik, zu der wir wieder zurückkommen werden. Bis jetzt scheint er nicht ganz ‚rehabilitiert‘. Aber eine Berührung kann Vertrauen fördern.“ Auch die verbale Verständigung schaffe Vertrauen, ergänzt die Professorin. Zu einer weiteren vertrauensgenerierenden Praxis habe sich vor allem in der Pandemiezeit der gemeinsame Spaziergang entwickelt. Dazu Kalthoff: „Das tägliche Abschreiten der direkten Umgebung hat in der Pandemie nicht nur für Bewegung gesorgt, wir haben auch die Umwelt kognitiv neu erschlossen, sie neu kartiert und erfahren. So geht es bei Vertrauenspraktiken nicht nur um zwischenmenschliche Beziehungen: „Wir verstehen Vertrauenspraktiken auch im weiteren Sinne als ein Netzwerk aus sozialen und materiellen Komponenten. Damit können auch gemeinsame Erzählungen gemeint sein.“ 

Vertrauensvolle Arbeit mit KI und ChatGPT?

Vielfältige Optionen und Herausforderungen ergeben sich in der Wissenschaftskommunikation, wenn z.B. ChatGPT (ein textbasiertes Dialogsystem, welches das Chatten mit einem technischen System erlaubt Anm. d. Red.) genutzt wird, um Wissen zusammenzufassen und zu erklären.Ich würde sagen, Bedenken, dass es immer leichter wird, Plagiate zu erstellen, sind sicher berechtigt, denn diese bekommen durch die Möglichkeiten auf ChatGPT eine neue Qualität“, sagt Kalthoff, „bei gewöhnlichen Kopien oder Teilkopien kommen Textprofis, wie bspw. Lehrer*innen jedoch schnell dahinter und erkennen, ob etwas selbst geschrieben ist oder nicht.“ Bei der KI sei es natürlich etwas schwieriger, wobei die Geisteswissenschaftlerin darauf aufmerksam macht, dass es nun darum gehen sollte, gemeinsame Regeln für die Nutzung auszuloten, denn: „Wie schon damals beim Internet, bei Suchmaschinen und Wikipedia, wird es auch in Sachen KI darum gehen, sie im Unterricht produktiv und gerahmt zu nutzen und eine Sensibilität für Chancen und Risiken zu schaffen, anstatt von einer grundsätzlichen Skepsis Schüler*innen und Studierenden gegenüber auszugehen“. 

In der Wissenschaft gehe vor allem darum, wie man Wissenschaft überhaupt begreife, ergänzt Stehrenberger. „Wer macht das? Wer ist überhaupt Autor und wer ist es nicht? Es geht um den guten Umgang damit. Der Umgang im Kontext Schule und Universität bedeutet für mich auch zu fragen, was Personen dazu bringt, einen übertriebenen, nicht mehr akzeptablen Rückgriff auf diese Technik zu bestimmen. Es geht um die strukturellen Bedingungen des Lernens und des Forschens. Wissenschaft und das Verhältnis Wissenschaft-Technik-Öffentlichkeit verändern sich kontinuierlich. Genau zu analysieren und zu diskutieren, welche Transformationen sich dabei wie vollziehen, ist grundsätzlich von großer gesellschaftlicher Relevanz. Die Auseinandersetzung mit dem ChatGPT-”Problem” kann eine gute Gelegenheit bieten, die entsprechenden Aktivitäten zu intensivieren. 

Bei KI fehlt das kreative Moment

Literarisches und wissenschaftliches Schreiben kann durch KI nicht ersetzt werden. Zwar sei vor allem der Algorithmus bei ChatGPT sehr genresicher, weiß Kalthoff, und Bewerbungen sowie E-Mails ließen sich damit wunderbar verfassen, doch „die literarischen Texte wirken erst einmal lächerlich, wenn sie mit der KI geschrieben werden. Das liegt beispielsweise daran, dass ChatGPT keine direkte Rede nutzt. Das kann man ausprobieren. Wenn man die Aufgabe gibt: ‚Schreibe eine Geistergeschichte, die im England des 18. Jahrhunderts spielt‘, dann ist zwar das Genre etwa durch Setting und Plot erfüllt, aber auf eine lustige, da platte und plakative Art und Weise. Es bedarf einiges an Wissen über den Algorithmus und die Funktionsweisen, aber auch einiges an Genrewissen, um da etwas Vernünftiges herauszubekommen. Die Fragen müssen gut und informiert gestellt sein. Letztlich fehlt die Variation oder Differenz, die das kreative Moment ermöglicht.“ Beim wissenschaftlichen Schreiben werde ChatGPT sicher als Tool eine Rolle spielen, aber es gäbe auch eine gute wissenschaftliche Praxis, auf die wir uns weiterhin verlassen könnten. Man müsse KI sinnvoll in den Alltag integrieren und immer wieder hinterfragen, was sich hinter einer Verzauberung à la ‚KI wird die Menschheit übernehmen‘ verberge. „Wenn wir historisch darauf blicken, sehen wir auch Parallelen zu anderen technisch-wissenschaftlichen Entwicklungen, die als eine Art Black Box daherkamen und den Verbraucher*innen zunächst nicht verständlich waren, sagt Stehrenberger.

Vertrauen durch Misstrauen

Katastrophen wie der menschengemachte Klimawandel, ökologische und soziale Krisen, die Corona-Pandemie oder die militärischen Eskalationen in der Ukraine und der Terror in Israel sind beängstigend und führen zu Erschütterungen von unterschiedlichen Vertrauensbeziehungen. Wie kann denn wieder Vertrauen geschaffen werden? 
Kalthoff erklärt es mit dem Gegenteil: „Nicht nur das Vertrauen, sondern auch das Misstrauen (das eine ist nicht das Gegenteil des anderen) kann als aktive Haltung verstanden werden. Dabei gilt es zwischen einem destruktiven, geschürten Misstrauen, wie wir es im Rechtspopulismus (oder bei ‘Querdenken’) erleben, und einem produktiven Misstrauen zu unterscheiden. Produktives Misstrauen kann auch zu einer intensiveren Beschäftigung mit Diskursen führen, sodass ein anderes, besseres, weil informiertes Vertrauen entstehen kann.“ Auch müsste der Fokus weg von der vertrauenden Person hin zu dem, wer oder was eigentlich als vertrauenswürdig wahrgenommen werde, ergänzt Stehrenberger und fährt fort: „Darin spielen soziale Strukturen und Machtverhältnisse innerhalb derer sich Praktiken des Vertrauens vollziehen eine entscheidende Rolle. Wir fragen uns, und deshalb sind die Aspekte Krise/Katastrophe wie oben beschrieben für uns zentral, ob Vertrauenspraktiken Verschiebungen bewirken oder ob sie die geltenden Verhältnisse stabilisieren.“   

Weitere Informationen zum Projekt und der AG Doing Trust unter https://doingtrust.uni-wuppertal.de/de

Uwe Blass

Dr. Cécile Stephanie Stehrenberger ist Juniorprofessorin für historisch-komparative Wissenschafts- und Technikforschung, IZWT an der Bergischen Universität Wuppertal
Katharina Andrea Kalthoff ist promovierte Anglistin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Doing Trust an der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der BUW.

Weitere Infos über #UniWuppertal: