Mikroplastik
Dr. Marc Constapel / Management chemischer Prozesse in der Industrie
Foto: UniService Transfer


Die Lücken unseres Wissens über Mikroplastik sind noch enorm

Der Umweltchemiker Marc Constapel über das noch vielfach unbekannte Gefahrenpotential von Kunststoffpartikeln

Als Mikroplastik bezeichnet man laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Plastikpartikel, die kleiner als fünf Millimeter und größer als ein Mikrometer sind. Wenn sie in die Umwelt gelangen, können sie meist nicht mehr entfernt werden. Mit der Nahrung gelangt das Mikroplastik in unseren Körper. Es gibt Schätzungen, die davon ausgehen, dass wir pro Woche eine Menge von bis zu 5 Gramm aufnehmen, das entspricht etwa einer Checkkarte. Woher all dieser Kunststoff kommt, wo er sich ablagert, welche Gefahren er für Mensch, Tier und Umwelt birgt, weiß Dr. Marc Constapel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Management chemischer Prozesse in der Industrie und Analytische Chemie an der Bergischen Universität.

Verschiedene Kunststoffarten und ihre Zusatzstoffe

Plastik ist nicht gleich Plastik, weiß der Umweltchemiker Marc Constapel, denn er bestehe aus unterschiedlichen Materialien, wie z. B. Polyethylen, Polypropylen, Polyvinylchlorid und Polyamid. Man spreche von mehr als zehn verschiedenen Kunststoffarten, die sowohl unterschiedlich in ihrer Beschaffenheit seien, als auch verschiedene Zusatzstoffe enthielten. „Das Mikroplastik unterscheidet sich auch in der Form, d.h. wir finden Fasern, Folien, Bruchstücke, aber auch kleine Kügelchen, die schon von vornherein so hergestellt wurden“, erklärt der Fachmann. Einer der oft diskutierten Zusatzstoffe in Kunststoffen seien dabei Flammschutzmittel, die sich nahezu in allen Elektrogeräten fänden. „Kunststoffe in Autos und Flugzeugen, die sind alle mit Flammschutzmitteln versetzt. Da sprechen wir von Millionen Tonnen im Jahr.“ Einige dieser Flammschutzmittel wurden inzwischen verboten, weil man nach jahrelanger Verwendung nachgewiesen hat, dass sie problematisch sind. Das ärgert den engagierten Wissenschaftler vor allem deshalb, da es Testverfahren gibt, die verhältnismäßig günstig sind und schon nach kurzer Zeit Ergebnisse liefern, die belegen können, ob ein Stoff persistent (langlebig), toxisch oder bioakkumulativ ist. „Stattdessen setzen wir jahrelang Chemikalien in größeren Mengen in die Umwelt, die dann wieder zurückgerufen werden müssen.“ Mittlerweile hat sich mit der EU-Chemikalienverordnung REACH die Situation diesbezüglich aber verbessert.

Plastik verrottet im Laufe von 400 Jahren

Mikroplastik entsteht zum großen Teil aus größerem sogenannten Makroplastik. Daher muss man Mikroplastik in Kontext der Plastikproblematik betrachten. „Ich bespreche mit meinen Studierenden zu Beginn der Vorlesung den Kreislauf der Plastiktüte, um die Umweltproblematik ganzheitlich zu verstehen“, erklärt Constapel. Dazu zeichnet er einen Beutel mittig auf ein Blatt oder die Tafel und sagt: „Die Plastiktüte fällt ja nicht vom Himmel. Ich muss schauen, wo bekomme ich die Rohstoffe dafür her, also Erdöl in den meisten Fällen. Damit fängt es schon an.“ Von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung, den Gebrauch, die Entsorgung und den gesellschaftlichen, gesetzlichen sowie wirtschaftlichen Einflüssen auf die Thematik, entsteht so eine umfangreiche Grafik, die den Studierenden deutlich macht, wie komplex das Thema ist. „Man geht davon aus, dass die gängigen Kunststoffe, die in die Umwelt gelangen, ungefähr 400 Jahre brauchen, um zu verrotten“, erklärt er und fährt fort, „mit der Zeit wird es u.a. infolge von Sonnenlicht oder mechanischer Einwirkung spröde, brüchig und fragmentiert zu immer kleiner werdenden Plastikpartikeln.“ Diese Partikel finden sich dann in Böden, im Wasser und auch in der Luft. Sie lagern sich in Pflanzen an und kommen so auch in unsere Nahrungskette.

Man müsse noch viel weiterdenken, erklärt er, denn nicht nur die Größe der Mikroplastikpartikel variiere sehr, sie würden mit der Zeit auch noch kleiner. Man gelange dann in den Nanometerbereich. Diese Partikel sind in Umweltproben mit den derzeitigen Analysenmethoden kaum nachweisbar. „Wir wissen viel über Mikroplastik auf verschiedenen Ebenen, beispielsweise die Mengen, die in die Umwelt gelangen, wo es vorkommt und zum Teil wie es sich auf Ökosysteme auswirkt, aber die Wissenslücken sind trotzdem noch enorm.“

Mikroplastik und unsere Gesundheit

Das Bundesministerium für Risikoforschung sagt derzeit, dass Mikroplastik die Gesundheit nicht gefährdet. „Da ist auch was dran“, erklärt Constapel, „denn das Plastik ist ziemlich inert (chemisch reaktionsträge, Anm. d. Red.). Ein Chemiker würde sagen, es ist ein toter Hund. Aber man muss berücksichtigen, dass darin auch häufig Zusatzstoffe enthalten sind, die wir schleichend zu uns nehmen.“ Mikroplastik ist zudem ein Vehikel für andere Schadstoffe, die sich am Mikroplastik anreichern. „Sehr große Mengen an Mikroplastik sind im Hausstaub. Wenn man sich in seinen eigenen vier Wänden umsieht, dann stellt man fest, wo überall Plastik zu finden ist. Das wird z.T. abgerieben und zerbröselt zu Mikroplastik“. Man könne sich vorstellen, spekuliert er, wenn es in den menschlichen Kreislauf gerate und sich evtl. an Gelenken festsetze, es durch ständiges Scheuern auch zu Entzündungen führen könne. Dazu gäbe es aber bisher keine Publikationen. Ein Forschungsteam hat kürzlich durch Experimente mit Mäusen herausgefunden, dass winzige Kunststoffpartikel in Gewebe und Organe eindringen und sogar ins Gehirn gelangen können. „Das finde ich alarmierend, alleine schon aus dem Grund, weil es da nicht hingehört.“ Vor allem sind die kleinen Partikel (sogenanntes Nanoplastik) zellgängig, sie können an Stellen im Körper migrieren, wo normalerweise Partikel nicht hinkommen. Lukas Kenner, Pathologe an der Medizinischen Universität Wien sagt: "Im Gehirn könnten Plastikpartikel das Risiko von Entzündungen, neurologischen Störungen oder sogar neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson erhöhen".

Mikroplastik im Meer: Foto: Sören Funk, gemeinfrei

Mikroplastik in der Umwelt

Mikroplastik ist als Umweltproblem noch gar nicht so lange bekannt. Eine Studie, die die jährliche Anzahl an Publikationen zum Thema Mikroplastik und Mikropellets von 1970 bis 2014 behandelt, zeigt, dass wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Mikroplastik bis ins Jahr 2007 nur sehr vereinzelt veröffentlicht wurden. „Die wissenschaftliche Community hatte das Problem bis dahin einfach nicht auf dem Schirm, obwohl es vorher schon da war. Erst als man die Tragweite des Problems erkannt hatte, schnellte auch die Anzahl an Publikationen nach oben.“ Aber wie hoch ist nun eigentlich der Anteil an Mikroplastik in der Umwelt? „Man weiß, dass es große ´Plastikwirbel` in den Ozeanen gibt“, beginnt Constapel, „das sind riesige Gebiete, manche so groß wie Europa. Dort gibt es kreisförmige Meeresströmungen, wo sich das Plastik ansammelt und über Jahrzehnte zirkuliert. Wenn man in diesen Gewässern misst, findet man Plastikmassen, die sind sechs Mal höher als die Menge an Plankton. Das heißt, dass man dort Ökosysteme verändert. Es kommen ganz neue Oberflächen und Transportvehikel ins Spiel, es laufen Prozesse ab, die vorher so nicht da waren. Beim Eissturmvogel, der die meiste Zeit über dem offenen Meer verbringt, fand man bei einer Untersuchung im Schnitt mehr als 30 Plastikteile im Magen von toten Tieren. Dabei ist das Mikroplastik und Nanoplastik noch nicht einmal erfasst. Von mehr als 200 Tierarten ist bekannt, dass sie Plastik mit Nahrung verwechseln. An Küsten findet man inzwischen an einigen Stränden im Sand Mikroplastikgehalte von bis zu drei Prozent.“

Dass die Menge an Mikroplastik in der Umwelt in nächster Zukunft kleiner wird, ist eher nicht zu erwarten. Dazu ist zu viel Makroplastik in der Umwelt und die jährliche globale Produktionsmenge an neuem Plastik, die über die vergangenen Jahrzehnte exponentiell gestiegen ist, ist auf einem sehr hohen Niveau.

Düngemittel – belastete Nährstofflieferanten für unsere Böden

„Düngung ist nötig“, sagt der Umweltchemiker, „weil die Äcker, die seit Jahrzehnten einer Intensivlandwirtschaft unterliegen, total ausgezehrt sind. In den Böden ist kaum noch Organik enthalten und man kann die hohen Erträge nur erzielen, indem man intensiv düngt und mit diversen Pflanzenschutzmitteln arbeitet. Dem Boden tut das sehr gut, wenn ich Klärschlamm auftrage. Aber der Klärschlamm müsste sauber sein.“ Das sei aber meist nicht der Fall, so dass der Klärschlamm verbrannt werden muss. Und selbst wenn die Grenzwerte für die Aufbringung von Klärschlamm eingehalten werden, kommen mit dem Klärschlamm erhebliche Mengen von Mikroplastik auf die Felder. Prof. Laforsch von der Universität Bayreuth geht davon aus, dass es in Deutschland keine Ackerflächen mehr ohne Mikroplastik im Boden gibt. Daher ist es auch nicht überraschend, dass wir heute sogar Reifenabriebpartikel im Kopfsalat finden. „Der Reifenabrieb wird tatsächlich als größte Quelle an Land genannt. Forscher gehen aber davon aus, wenn man Straßenreinigungsmaschinen öfter fahren lasse, dann könnte man etwa 80% des Mikroplastiks einsammeln. Also einfach kehren.“

Alternative Hanf – ein nachwachsender Rohstoff mit bekanntem Potential

Auf der Suche nach Ersatzstoffen, die aus dem unsäglichen Dilemma führen könnten, verweist Constapel auf die heute immer noch oft verpönte Hanfpflanze als Alternative für synthetische Fasern. Deren Vorteile als Nutzpflanze kamen bereits im Mittelalter häufig zur Anwendung. „Hanf ist ein wunderbares Material. Die Hanffaser ist z.B. sehr viel reißfester als Baumwolle. Ich habe Hanf auch bei mir selber im Dach als Isoliermaterial eingebaut. Es ist sehr lange haltbar.“ Doch der Hanfanbau ist in Deutschland aufgrund seiner berauschenden Wirkung mit hohen Hürden verbunden. Darüber müsse man noch einmal nachdenken, fordert Constapel, denn „es ist eine Pflanze, die ziemlich anspruchslos ist. Sie ist tief verwurzelt und kommt daher besser mit Trockenheit zurecht.  Zudem enthält sie von sich aus Biozide (Biozide dienen dazu, Schadorganismen zu töten oder abzuwehren, Anm. d. Red.) und muss so nicht gespritzt werden. Außerdem wächst sie relativ schnell. Das ist ein supernachwachsender Rohstoff, der nicht nur für die Textilindustrie interessant ist.“

Rest eines Vogelnests, zerfasertes Blumenband wird zu Mikroplastik
Foto: CC BY-SA 4.0

Mikroplastik ist ein kollektives Problem

Zu Constapels Forschungsschwerpunkten in der Analytischen Chemie gehört die Entwicklung eines Verfahrens zur Analytik von Mikroplastik. Aber können die Erkenntnisse dieser Forschungen die Chancen des Umdenkens in der Chemischen Industrie im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte fördern? „Das ist meiner Ansicht nach aufgrund der enormen Verbreitung von Kunststoffen ein kollektives Problem, dass auch ein kollektives Vorgehen benötigt“, erklärt er. „Da müssen wir alle mit an einem Strang ziehen. Mein Wunsch wäre, dass man sich dem gemeinsam annimmt. Wir müssen uns da neu erfinden.“ Die Analytik spielt aber schon eine Schlüsselrolle im Verständnis der Mikroplastikproblematik. Sie ist aber leider auch sehr anspruchsvoll. „Ich mache schon seit über 20 Jahren Analytik und ich kann sagen, dass die Mikroplastikanalytik vom Schwierigkeitsgrad her ganz oben steht. Es arbeiten viele Wissenschaftler*innen daran, aber es wird sicher noch einige Jahre dauern, bis wir genormte, also vergleichbare Verfahren entwickelt haben, die die Mikroplastikgehalte in der Umwelt einigermaßen gut erfassen. Bei der Analytik für Nanoplastik wird es wahrscheinlich noch länger dauern, wenn es in absehbarer Zeit überhaupt gelingt, eine praktikable Routineanalytik zu etablieren. Darauf sollten wir jedoch nicht warten und Sofortmaßnahmen ergreifen, die den Eintrag von weiterem Plastik bzw. Mikroplastik in die Umwelt effektiv senken. Sicher werden auch mittel- und langfristige Strategien erforderlich sein, um die Emissionen wirkungsvoll auf ein umweltverträgliches Maß zu reduzieren. Die Natur kommt uns dabei zur Hilfe, da Sie über ein großes Selbstheilungspotential verfügt. Wir müssen aber in Zukunft sicherstellen, dass wir die Belastungsgrenzen nicht überschreiten.

Aufklärung ist das A und O

Das Problem Mikroplastik ist in der Umwelt allgegenwärtig und kann nur auf lange Sicht behoben werden. Hinzu kommt, dass Mikroplastik ja auch ´nur` eines von mehreren gravierenden Umweltproblemen ist. Die Umwelt stellt jedoch nicht weniger als unsere Lebensgrundlage dar, mit der wir sorgsam umgehen müssen. Warum also nicht in der Schule möglichst früh ein Unterrichtsfach implementieren, in dem nachhaltige soziale Kompetenzen vermittelt werden. Das ist für unser Dasein auf der Erde derzeit vielleicht wichtiger als der ein oder andere Fachunterricht. Wir müssen gemeinschaftlich darauf achten, dass unsere Umwelt in Takt bleibt, damit auch unsere Kinder hier noch einen Planeten vorfinden, auf dem sie gut leben können.

Daher gilt sein abschließender Apell uns allen: „Für mich ist es wichtig, dass diese Themen die gebührende Beachtung bekommen. Unsere Aufmerksamkeit ist zu oft auf den Konsum gerichtet, die Umweltproblematik verdrängen wir gerne. Wir merken z.B. nicht unmittelbar den Insektenschwund und wundern uns, dass wir nicht mehr so viele Vögel zwitschern hören, wie früher. Aber das hängt alles zusammen“.

Uwe Blass

Dr. Marc Constapel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Management chemischer Prozesse in der Industrie und Analytische Chemie.

Weitere Infos über #UniWuppertal: