Maria 2.0 und die Debatte um Veränderungsprozesse
Dr. Astrid Heidemann / Katholische Theologie
Foto: Axel Klugmann

Das Kirchenrecht ist ein Anker der Machtzentralisierung

Die Theologin Dr. Astrid Heidemann über Maria 2.0 und die Debatte um Veränderungsprozesse für Frauen in der Katholischen Kirche

„Gleichstellungsinitiativen, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter innerhalb der Kirche einsetzen, weisen darauf hin, dass dieses Bild Marias als der idealen Frau immer wieder dazu genutzt wurde, von Frauen zu erwarten, passiv zu sein, still zu sein und keine Änderungen der geltenden Strukturen zu fordern“, sagt Dr. Astrid Heidemann, Akademische Rätin für Systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Die Initiative Maria 2.0, auch Kirchenstreik genannt, forderte in einer Aktionswoche in Münster im Mai 2019 u.a., endlich Frauen für Weiheämter zuzulassen, und pushte damit erneut eine Debatte, deren Ende offen ist.

Die Jungfrau Maria (Detail) auf dem Genter Altar, gegen 1430 von Jan van Eyck geschaffen.
Foto: Gemeinfrei via Wikimedia

Maria 2.0 – eine Initiative nimmt Fahrt auf

Die Initiative Maria 2.0 ist nicht die einzige Vereinigung, die sich für mehr Rechte von Frauen einsetzt. Der Name sei eine Art Kunstbegriff, erklärt die Theologin und stelle ein Gegenbild zum traditionellen Marienbild dar. „Das wäre das in der Kirche jahrhundertelang tradierte Bild Marias als einer hingebungsvollen aber letztendlich auch passiven Dienerin Gottes, von der keine eigenen Aktivitäten, schon gar nicht eigene Bedürfnisse ausgesagt werden und von der auch keine autonomen Positionierungen bekannt sind, außer der sehr anstößigen Geschichte, dass sie bereit war, ein Kind zur Welt zu bringen, für das sie keinen - schon gar keinen ehelichen -Erzeuger angeben kann“, erklärt Heidemann und fährt fort, „und selbst dieser Punkt wurde noch glorifiziert als die Einheit von Jungfräulichkeit und Mutterschaft.“

Anglikanische Kirche mit Vorreiterrolle

Die Forderung nach einer besseren Sichtbarkeit von Frauen in der Kirche sei nicht neu, sagt Heidemann. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) und teilweise darüber hinaus war es vielerorts in Deutschland bereits üblich, dass Frauen predigten, auch in Eucharistiefeiern – eine Praxis, die schlussendlich in Bezug auf die Homilie der Eucharistiefeier vom Kirchenrecht nicht unterstützt und 1997 vom Vatikan verboten wurde. Im März hat der Synodale Weg mit großer Mehrheit dafür gestimmt, dass diese Predigttätigkeit Laien und damit auch Frauen erlaubt werden soll, durch eine durch die Bischöfe zu erarbeitende Ausnahmeregelung.“

In der Church of England steht das Priesteramt Frauen seit 1994 offen, was zu einem Abbruch der bis dahin weit gediehenen ökumenischen Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und der Anglikanischen Kirche beigetragen hat, weiß Heidemann. „Papst Johannes Paul II. hat damals in seinem Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis mit Blick auf die Anglikaner betont, dass die Katholische Kirche keine Vollmacht habe, Frauen die Weihe zu spenden, weil die geltende Ordnung auf eine göttliche Verfügung zurückgehe und die Gläubigen sich endgültig an diese Entscheidung zu halten haben. Die vor diesem Schreiben lebhafte Diskussion um die Ordination von Frauen wurde aufgrund des Schreibens nur noch unterschwellig fortgeführt, hat aber in den letzten Jahren wieder Fahrt aufgenommen.“

Gleichstellung von Menschen

Es geht den Initiatorinnen von Maria 2.0 nicht nur um ihre eigene Rolle als Frau in der Kirche, erklärt Heidemann, „denn sie treten u.a. auch für die Teilung von Macht sowie für eine Anerkennung selbstbestimmter achtsamer Formen von Sexualität und Partnerschaft ein. Viele weitere Reformkreise innerhalb der Katholischen Kirche fordern eine wertschätzende Haltung gegenüber unterschiedlichen Sexualpräferenzen und sexuellen Identitäten, also gewissermaßen eine umfangreiche Gleichstellung von Menschen ungeachtet ihrer persönlichen Lebensführung, wie sie auch im säkularen Bereich in Deutschland weitgehend üblich geworden ist.“ Corona stoppte viele Veranstaltungen der Kirchenaktivistinnen von Maria 2.0, aber 2021 machten sie in Anlehnung an Martin Luthers legendären Thesenanschlag von 1517 wieder auf sich aufmerksam und rüttelten an kirchlichen Machtstrukturen, indem sie insgesamt 7 Thesen an verschiedenen Kirchenportalen deutschlandweit anschlugen. Mit diesem Thesenanschlag wiesen sie auf eklatante Missstände in der katholischen Kirche hin und untermauerten damit ihre Forderungen nach Reformen hin zu einer zukunftsfähigen, geschwisterlichen und vielgestaltigen Kirche.

Gegenwind von führenden Kirchenvertretern in Rom und Köln

Obwohl viele Pfarrer und Bischöfe die Initiative Maria 2.0. unterstützen, meldeten sich auch einflussreiche Gegner der Reformforderungen zu Wort. So warnte Kurienerzbischof Georg Gänswein, Privatsekretär des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. im April 2019 davor, „eine neue Kirche erfinden zu wollen und an ihrer DNA herumzuschrauben.“ Darauf Heidemann: „Ich finde es schon merkwürdig, was als DNA der Kirche angesehen wird. Ich hoffe sehr, dass die DNA der Kirche nicht Misogynie (krankhafter Hass von Männern gegen Frauen, Anm. d. Red.) und Homophobie ist, sondern doch eher das Evangelium Jesu Christi und der natürlich immer fehlbare Versuch, es in der heutigen Zeit zu leben und in diese zu übersetzen.“ Ämterfragen und Machtzugang seien in Bezug auf das Weiterführen dieses Evangeliums, die Verkündung des Gottesreiches und die Sorge um das Heil der Gläubigen nicht zentral, sagt die Wissenschaftlerin bestimmt, doch sie würden an der Stelle zum Thema, wo Menschen aufgrund ihres Geschlechts von Leitungsämtern ausgeschlossen würden. Das sei in unserer Gesellschaft nicht vermittelbar. „Viele Menschen haben dann den Eindruck, dass kirchlich überkommene Strukturen und Machtverhältnisse gesichert werden sollen. Das beeinträchtigt hierzulande die Glaubwürdigkeit der gesamten christlichen Botschaft.“ Allerdings sei die Forderung und Förderung faktischer Gleichstellung der Geschlechter keineswegs überall auf der Welt selbstverständlich. „Als ich bei einer Partnergemeinde in Kenia war, teilten die Menschen dort nicht einmal meine Ablehnung der Polygamie“ erzählt Heidemann, „sie fragten, ob in Deutschland nicht einmal der Präsident mehrere Frauen haben dürfe. Nein, sagte ich, schließlich dürfe auch keine Frau mehrere Männer heiraten, auch nicht, wenn sie Präsidentin sei. Doch diese Reziprozität war dort unverständlich.“

Dem Reformprozess des Synodalen Weges, der u.a. die Position der Frau in der Kirche ändern möchte, steht auch Kardinal Woelki kritisch gegenüber und sagt über die potentielle Öffnung des Priesteramtes für die Frau, dies sei „nicht realistisch“. Gegen solch verkrustete Strukturen könne man sehr wenig tun, erklärt Heidemann: „Was es braucht, sind Änderungen am Kirchenrecht! Ohne die läuft eigentlich gar nichts. Es ist leider vielen Menschen nicht bekannt, wozu das Kirchenrecht dient und wie der Codex von 1983 faktisch entstanden ist. Das Kirchenrecht ist ein Anker der Machtzentralisierung der Kirche, und es wäre durchaus ein anderes Kirchenrecht denkbar.“

Deprimierter Rückzug – alternative Wege

Es scheint so, als ob alle Proteste und der Wunsch der Frauen, nach mehr Mitbestimmung in ihrer Kirche, in Rom ungehört bleiben. Die beiden Initiatorinnen, Elisabeth Kötter und Andrea Voß-Frick aus Münster jedenfalls, gaben am 25.03.2021 ihren Austritt aus der katholischen Kirche bekannt und setzen damit gleichzeitig ein deprimierendes Zeichen für einen von Frauen initiierten Reformwunsch. „Ja“, unterstreicht Heidemann, „protestierender Einsatz für Änderungen in der Kirche kann dazu führen, dass man irgendwann deprimiert ist, weil man nichts erreicht und resigniert aus der Kirche austritt.“ Für sich selber hat die engagierte Fachfrau einen Weg gefunden und sagt: „Ich selber habe das Gefühl, dass ich meine begrenzten Kräfte an dieser Stelle nicht einsetzen kann. Ich habe seit langem aufgehört, mir Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel in der Katholischen Kirche in Bezug auf Fragen wie die Ordination von Frauen zu machen und engagiere mich eher im Bereich von Spiritualität, von einer gewissen Nachhaltigkeitsethik und einer sogenannten Grünen Theologie für die Erhaltung des Planeten. Ich trete also nicht frustriert aus, sondern ich suche mir alternative Wege.“ Dazu gehöre z.B. die bewusste Entscheidung für die Arbeit an einer Hochschule und nicht im Kirchlichen Dienst, weil sie als Frau in bestimmter Hinsicht nicht immer in der zweiten Reihe stehen wolle. „Doch auch da mache ich immer wieder Ausgrenzungserfahrungen, weil das Christentum und insbesondere die Katholische Kirche in Deutschland mittlerweile so starke negative Ressentiments innerhalb der Gesellschaft hervorrufen, dass man als bekennende Christin und bekennende Katholikin praktisch permanent in einem Rechtfertigungszwang steht.“

Aktionen bringen Unruhe in die Katholischen Kirche

Aktionen wie ´Maria 2.0` oder auch die 2022 gegründete Initiative ´#Out in Church – Für eine Kirche ohne Angst` sind öffentlichkeitswirksame Protestformen. Sie werden auch im Vatikan zumindest als Unruhe in Deutschland wahrgenommen, beschreibt Heidemann die Situation. „Man fragt sich, was passiert da? Haben die Bischöfe in Deutschland ihre Schafe nicht wirklich unter Kontrolle? Solche Initiativen, wo auch immer sie auftreten, halten durchaus das Bewusstsein um die Dringlichkeit dieser Themen wach und erzeugen einen permanenten Druck.“ Mit der Zeit könne das zu einem Bewusstseinswandel führen, den man aber nur indirekt messen könne. Ein gutes Beispiel sei die Initiative ´#Out in Church – Für eine Kirche ohne Angst`. „Diese hat gewisse Parallelen zu Maria 2.0, was die Art der Struktur angeht. Sie setzen nicht den Schwerpunkt auf Gespräch und Dialog, sondern auf öffentlichkeitswirksame Aktionen. Bei ‚#Out in Church‘ haben sich viele Menschen zu ihrer queeren Geschlechtsidentität öffentlich und medienwirksam bekannt. Nur wenige Monate später verabschiedeten die deutschen Bischöfe eine novellierte Grundordnung des Kirchlichen Dienstes und bald darauf eine neue Musterordnung für die Vergabe der Missio canonica (Die Missio canonica, auch kirchliche Beauftragung genannt, ist in der römisch-katholischen Kirche die Beauftragung von Religionslehrerinnen und -lehrern Anm. d. Red.). Demnach sollen Formen der privaten Lebensführung, der geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung künftig für den kirchlichen Dienst keine Rolle mehr spielen. Natürlich wurde das vorher schon diskutiert, aber die Initiative hat dazu sicherlich noch einmal ordentlich Rückenwind gegeben.“

Entscheidungen aus Rom können Jahrzehnte dauern

2022 spricht Kardinal Marx sich für Frauen als Diakoninnen aus, ohne Rückendeckung aus Rom, und sagt: „Ich glaube, dass die Zeit reif ist.“ Mit einem klaren Votum für die Öffnung dieses Weiheamtes in der katholischen Kirche für Frauen ist auch erst kürzlich die fünfte und letzte Vollversammlung des Reformprojektes "Synodaler Weg" 2023 zu Ende gegangen. Aber haben sich die Chancen auf eine Umsetzung verbessert? „Ich bin da eher skeptisch“ resümiert Heidemann. „Es ist eine Absichtserklärung innerhalb des Syndalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland. Die sakramentale Struktur der Kirche betreffende Fragen wie die nach den Zulassungsbedingungen zu Weiheämtern wie dem Diakonat, können jedoch nur kirchenrechtlich und weltkirchlich getroffen werden.“ Eine Entscheidung aus Rom, wenn überhaupt, könne Jahrzehnte dauern, und wie dann ein Diakonat der Frau aussehe, sei noch eine ganz andere Frage. „Wenn dann eine Diakonweihe für Frauen eingeführt würde, wird das zumindest in Deutschland hauptsächlich für Enttäuschung sorgen, weil dann nur das in der Wahrnehmung rangniedrigste Weiheamt für Frauen geöffnet ist. Die säkulargesellschaftliche Erwartung einer umfassenden Gleichstellung der Geschlechter steht ist so weit von der katholisch-weltkirchlichen Positionierung entfernt, dass hier kaum ein befriedigendes Ergebnis erreicht werden kann. Auf der anderen Seite ist es klar zu begrüßen, dass der Synodale Weg sich so klar für die Zulassung von Frauen zum Diakonat ausgesprochen hat.“

Die Praxis der weit überwiegenden Mehrzahl katholischer Kirchengemeinden in Deutschland sei ganz klar von einer gleichberechtigten, wertschätzenden Zusammenarbeit haupt- und ehrenamtlicher Männer und Frauen geprägt. Das Kirchenrecht sei jedoch auf den leitenden Priester zentralisiert, der durch die Zugangsbedingungen zur Priesterweihe immer ein Mann sei, und leiste somit einer Zentralisierung von Macht vorschub, von der Frauen per se ausgeschlossen seien. Die Machtzentralisierung beeinträchtige auch den Synodalen Weg, da dieser zur Umsetzung seiner Beschlüsse auf die „freiwillige Selbstbindung“ der Bischöfe angewiesen sei.  Die Machtbefugnisse lägen nach Kirchenrecht jedoch immer bei den Bischöfen. „Die Delegation von Macht ist freiwillig und daher auch reversibel. Man kann es immer rückgängig machen.“

Uwe Blass

Dr. Astrid Heidemann arbeitet seit 2014 als Akademische Rätin für Systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal.

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