Wirkung von Lehrkraftfeedback auf Schüler*innen
Prof. Dr. Christian Huber / Rehabilitationspädagogik am Institut für Bildungsforschung
Foto: Privat

Soziale Integration: ein Herzensthema aller Lehrkräfte

Christian Huber vom Institut für Bildungsforschung an der Bergischen Universität untersucht in einem Projekt die Wirkung und Beeinflussung von Lehrkraftfeedback auf Schülerinnen und Schüler

Ende der Unterrichtstunde, Rückgabe einer Klassenarbeit. Lob für die Guten, Tadel für die Schlechten. Wer kennt diese Situation aus seinem Schulalltag nicht? Wenn man dann noch zu den Schlechten gehört, kann ein zusätzlicher negativer Lehrer*innenkommentar dem eh schon frustrierenden Tag noch das Sahnehäubchen aufsetzen.

Kinder orientieren sich an den Äußerungen ihrer Umwelt

„Lehrkräfte unterschätzen oft, was sie mit negativem Feedback anrichten können“, sagt Prof. Dr. Christian Huber, Leiter des Projektes „SIGNAL – Soziale Integration an Schulen durch Lehrkraftfeedback“ am Institut für Bildungsforschung an der Bergischen Universität.
Seit zehn Jahren beschäftigt sich der Wissenschaftler mit den Auswirkungen der Rückmeldungen von Lehrer*innen auf Schüler*innen. Die Bedeutung, die diesem Thema zukommt, basiert auf der Tatsache, dass Kinder und Jugendliche sich bei der Wahl ihrer Sozialkontakte unter anderem an ihren Lehrkräften orientieren. „Das ist gar nichts Neues“, sagt Huber, „weil wir das alle machen! Das machen Erwachsene, Jugendliche und das machen Kinder. Es ist erst einmal ein grundsätzliches sozialpsychologisches Prinzip, dass Menschen sich an Signalen in ihrem Umfeld orientieren.“ Wenn man sich selber in einer unbekannten Situation befände, erklärt Huber, dann überlegt man, was angemessen oder was nicht so angemessen sei, was möglicherweise ein richtiges Verhalten in der Situation ausmache oder auch nicht. „Neu ist allerdings, dass wir genau diese Idee in den Bereich der Schule transformiert haben, also, dass Kinder sich auch bei der Wahl Ihrer Interaktionspartner an solchen Äußerungen orientieren.“ Das Thema soziale Hierarchien, soziale Integration oder soziale Ausgrenzungen auf der einen Seite erhalte mit diesem neuen Aspekt eine zusätzliche Betrachtung.

Lehrkräftefeedback rückt in den Fokus der Betrachtung

In einer Projektstudie rücken daher Lehrkräfte und ihre Rückmeldungen auch in den Fokus der Forschung. Tatsache ist, dass Kinder mit Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht von Mitschülern oft sozial ausgegrenzt werden und zu den Faktoren, die dazu beitragen können, gehört auch das Lehrkraftfeedback. Durch viele Vorträge, die Huber regelmäßig vor Fachpublikum hält, weiß er, dass Lehrer*innen oft unterschätzen, was sie mit negativem Feedback anrichten können. „Das ist aber auch ein relativ neuer Befund“, sagt er, denn „wir erforschen das in Deutschland vielleicht seit sechs bis acht Jahren.“ Mittlerweile sei dieser Aspekt in die Wuppertaler Lehrer*innenausbildung integriert und Studierende lernten heute, wie man soziale Integration beeinflussen könne. Da habe sich in den letzten zehn Jahren viel getan und man habe erkannt, dass auch hier Lehrkräfte Einflussfaktoren hätten, um eine Integration positiv zu steuern. „Heute gilt die soziale Integration als viel beeinflussbarer als noch vor zehn Jahren, u.a. über ein Lehrkraftfeedback. Das haben wir in Wuppertal in den letzten Jahren sehr stark herausgestellt und das fließt jetzt auch in die Lehrkraftausbildung voll mit ein.“

Kritik muss sein

Das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt mit dem Titel „SIGNAL-Studie“ richtet sein Augenmerk vor allem auf das öffentliche Feedback, dass im Unterschied zur Vier-Augen-Kritik wesentlich den Integrationsprozess beeinflussen kann. „Natürlich gehört auch negatives Feedback zum Classroommanagement“, erklärt Huber, „das gehört zur ganz normalen Lehrkrafttätigkeit, und wir müssen Menschen auch mal kritisieren. Die entscheidende Variable ist da aber die Öffentlichkeit. Im Prinzip kann ich mit öffentlichem Feedback, also Rückmeldungen, die ich vor der ganzen Klasse mache, die alle Kinder mitbekommen, sozial integrativ wirken.“ Daher müsse eine Lehrkraft immer abwägen, wie sie eine gerechtfertigte negative Kritik, die sie einem Kind gegenüber äußern möchte, erfolgen solle. „Ich kann das unter vier Augen tun, in einer Situation, wo es die anderen Kinder nicht mitbekommen, oder ich kann es über die ganze Klasse geben. Ich kann es auch in den Klassenraum brüllen und dann haben wir eine ganz andere Ausgangssituation. D.h., wir müssen an dieser Stelle unterscheiden, nicht ob ich negatives Feedback gebe, sondern wie ich es gebe.“

Paraverbale Kommunikation

Die Art und Weise der Kritikübermittlung sei zudem ein ausschlaggebender Punkt, der einen großen Einfluss auf die Integration haben könne, denn es mache natürlich einen Unterschied, ob ein negatives Feedback neutral formuliert sei und dem Kind signalisiere, dass man mit seinem Verhalten oder seiner Leistung nicht einverstanden sei, oder diese Kritik wertend oder gar herablassend formuliert werde. „Das hat, wie wir auch in dieser Studie herausgefunden haben, einen sehr viel größeren negativen Einfluss auf die soziale Integration.“ Huber spricht in diesem Zusammenhang von der paraverbalen Kommunikation: „Also klinge ich aggressiv, klinge ich sachlich oder freundlich, dass macht einen großen Unterschied. Das ist schwierig, denn selbst eine Stimmung kann an dem einen Tag gut und am nächsten Tag schlecht sein. Wir müssen aber immer davon ausgehen, dass Lehrkräfte Profis sind und einen professionellen Standard haben. Von dem ausgehend, haben wir immer eine gute Chance, die soziale Integration gerade von Kindern mit Förderbedarf ins positive zu beeinflussen.“

Animierte Filme mit Situationen des Schulalltags

Die Studie ging folgendermaßen vor. Die Grundidee des Experiments bestand darin, dass die Probanden, Schüler*innen der dritten und vierten Klasse, in einem animierten Video den Schulalltag eines virtuellen Schulkindes mit Namen Kim beobachteten. Eingeteilt in vier Unterrichtsstunden wurde darin die Schulleistung und das damit verbundene Lehrkraftfeedback variiert. „Das sind ganz alltägliche Klassensituationen, die wir da nachgestellt haben. Eine Situation, in der Lehrkraftfeedback häufig vorkommt ist z.B. Lesen. Ein Kind liest gut, nicht so gut oder aber schlecht und da gibt es häufig sehr viel Lehrkraftfeedback“, erklärt Huber. „Eine Klassenarbeit wird zurückgegeben oder das Kind ist im Unterricht konzentriert oder nicht konzentriert. Das sind weitere Beispiele, die wir dort nachgestellt haben. Auf diese Situationen gab es aus dem Off heraus ein variiertes Lehrkraftfeedback.“ Die animierte Form dazu bot im Gegensatz zur Darstellung mit realen Schauspieler*innen den Vorteil eines höheren Grades der Standardisierung sowie die Möglichkeit, etwaige spätere Überarbeitungen vorzunehmen.

Auswirkungen von Lob und Tadel

„Das negative Feedback beeinflusst insbesondere die soziale Ablehnung, d.h. Kinder möchten nicht neben anderen Kindern sitzen, sie nicht zu Spielpartnern haben oder in der Pause mit ihnen Zeit verbringen, wenn sie von der Lehrkraft häufig kritisiert werden.“ Positive Rückmeldungen hätten im Gegensatz dazu einen starken Einfluss auf die soziale Wahlentscheidung. Das zeige sich dann darin, dass die positiv bewerteten Kinder für soziale Interaktionen gewählt würden, als Spiel- oder Sitznachbar z.B. und damit sei die Wahrscheinlichkeit der Integration um ein vielfaches höher.
Die Studie konnte belegen, dass ein negatives Lehrkraftfeedback ursächlich für eine Wahl- oder Nichtwahlentscheidung eines Kindes verantwortlich sein kann. „Kinder lassen sich sehr stark von diesen sozialen Referenzen, also vom Lehrkraftfeedback beeinflussen“, sagt der Wissenschaftler. Auch Leistung habe einen sehr starken Einfluss auf soziale Beliebtheit. Die Vorstellung, Kinder, die als Streber angesehen würden, wären weniger beliebt, liege einfach daran, dass „klassisches Streberverhalten, wie wir es vielleicht auch selbst noch aus der Schule kennen, eben auch oft sozial ungeschickt rüberkommt und diese Kinder wenig Feingefühl zeigen, mit ihren guten Leistungen umzugehen“, sagt Huber, aber „ein Kind, dass gute Leistungen hat, aber eher unauffällig im sozialen Verhalten ist, das ist trotzdem sehr beliebt.“ Der Forscher bedauert, dass Deutschland immer noch eines der wenigen Länder ist, in denen Leistung sehr stark die soziale Integration beeinflussen und sagt: „Die Guten sind sehr beliebt, die Schlechten sind nicht so beliebt. Das ist in anderen Ländern stärker entkoppelt. Wir forschen sehr viel dazu, damit wir das wieder entkoppelt kriegen.“

Die Umsetzung im Lehrbetrieb

Die Umsetzung dieser Erkenntnisse wird bereits im Lehrbetrieb realisiert. „Wir sensibilisieren Lehrkräfte in Trainings und in Fortbildungen genau dafür“, erzählt Huber. „Wir sind aber auch jetzt dabei, den zweiten Teil dieser Studie vorzubereiten. Das sind zwei weitere DFG-Studien, wo wir ein Lehrer*innentraining aufgrund unserer Erkenntnisse konzipiert haben, dass nachher Lehrkräften ermöglicht, soziale Integrationsprozesse ganz bewusst durch ihr Feedbackverhalten zu beeinflussen.“
Huber weiß um die Belastungsgrenzen der Lehrkräfte, die aufgrund von Vorgaben aus dem Ministerium oft nicht wissen, was sie noch im Schulalltag bedenken und umsetzen müssen. „Ich habe sehr viele Fortbildungen zu anderen Bereichen gemacht, wo ich genau diese Wahrnehmung hatte“, sagt der Bildungsforscher. „Es ist alles on the Top und es ist alles viel zu viel.“ Jedoch das Thema der sozialen Integration und die Rolle des Lehrkraftfeedbacks sei nach seinem Eindruck für sehr viele Lehrkräfte ein Herzensthema. „Sie sind neugierig interessiert. Es ist ein Thema, was alle berührt: Soziale Ausgrenzung. Alle Lehrkräfte, die ich kenne, legen sehr viel Wert darauf, dass kein Kind in ihren Klassen sozial ausgegrenzt wird.“ Außerdem könne jede Lehrkraft bei sich anfangen und einfach nur die Art und Weise, wie sie beispielsweise eine Klassenarbeit zurückmelden, ändern. „Das ist ja schon ein kleiner Beitrag dazu, dass ich weniger Leistungsfeedback oder negatives Leistungsfeedback gebe“, resümiert Huber, „und das Schöne ist, es kostet im Alltag eigentlich ganz wenig.“

Uwe Blass (Gespräch vom 09.02.2022)

Prof. Dr. Christian Huber leitet das Lehr- und Forschungsgebiet der Rehabilitationspädagogik (Schwerpunkt: Förderung der emotional-sozialen Entwicklung) am Institut für Bildungsforschung in der School of Education an der Bergischen Universität.

 

 

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