Dr. Joachim Studberg / Archiv und Studienberatung
Foto: UniService Transfer

Archiv heißt: Transfer mit langem Atem
Dr. Joachim Studberg und das öffentliche Hochschularchiv

Der alte Herr saß an seinem großen Schreibtisch inmitten der Stube. Zwei Wände waren mit Büchergestellen verkleidet. Auf kleineren Tischen lagen Urkunden mit Holzkapselsiegeln, in Schweinsleder gebundene Folianten, ein Buch, an dem eine Kuhkette im Format der Trausnitzer Kerkerkette herabhing, und etliche Bündel alter Akten. (...) *1

So beschreibt August Sperl den Archivar in seinem gleichnamigen Roman von 1921. An der Bergischen Universität bekleidet dieses Amt seit dreißig Jahren der studierte Historiker und Sozialwissenschaftler Dr. Joachim Studberg. Aktuell sichert er vom Studierendensekretariat übergebene, abgelaufene Studierendenakten der ehemaligen Pädagogischen Hochschule, die 1972, mit Aufnahme des Lehrbetriebs der Gesamthochschule Wuppertal, in diese überführt wurde. „Das sind Unterlagen von Leuten, die Ende der 60er Jahre an der PH ihr Studium angefangen haben“, sagt er, „da sind hochinteressante Daten drin und das wird digital erfasst. Wir sind dann über die elektronischen Findbücher in der Lage, solche Akten blitzschnell aus unserem Magazin herauszuholen.“ Diese archivwürdigen Akten geben Aufschluss über Praktikumsnachweise, Lebensläufe und sogar literarische Vorlieben. Dazu schlägt er vor: „Man könnte z.B. anhand solcher Archivalien eine Untersuchung über das angebliche Leseverhalten bestimmter Jahrgänge machen.“ Und auch die Lebensläufe für sich genommen bilden eine riesige Quellengrundlage, auf die Soziologen oder Bildungswissenschaftler zugreifen könnten. Jedoch hat dieses Transferanliegen auch einen datenschutzrechtlichen Haken. „Anders als eine Bibliothek“, erläutert der 61jährige, „haben wir hier Archivschutzfristen“, und die erlauben eine Nutzung personenbezogener Unterlagen erst „zehn Jahre nach Tod, sechzig Jahre nach Schluss der Akte oder aber hundert Jahre nach Geburt“. So wird man die gerade frisch archivierten Studierendenakten, deren Eigentümer in der Regel in den 40er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geboren wurden, frühestens ab 2040 untersuchen dürfen.

„Archiv heißt, Transfer mit langem Atem“, weiß der gebürtige Schwelmer, der vor dreißig Jahren mit dem Aufbau des Universitätsarchivs begann.
„1988 war es eine der ersten Amtshandlungen des neuen Rektors, Prof. Dr. Dr. h.c. Siegfried Maser“, erzählt Studberg, sich um die Gründung eines Hochschularchivs zu kümmern. Dazu beauftragte er den damaligen Historiker Prof. Dr. Karl-Hermann Beeck mit der Erstellung eines Konzeptes. Über das Arbeitsamt wurden dann Mittel für eine befristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur Verfügung gestellt. Der frisch promovierte Geschichtswissenschaftler Joachim Studberg konnte dann zum Sommersemester 1990 eingestellt werden.

In den folgenden Jahren erlebte der universitäre Bewahrer der Vergangenheit im Amt des Archivars eine wechselvolle Entwicklung, die ihn nach dem Ende der Befristung zunächst in die Zentrale Studienberatung führte, wo er hauptamtlicher Studienberater wurde. Die Aufgaben für das Archiv übte er jahrelang rein ehrenamtlich aus. Heute leitet er mit einer Zwanzig-Stunden-Stelle offiziell das Universitätsarchiv. Ihm zur Seite stehen zwei studentische Hilfskräfte in der kleinen Abteilung auf dem Campus Freudenberg.

»Ein ungemein interessanter Beruf, den Sie da leben!« rief der Major begeistert.
»Alle Tage neue
Forschungsreisen, jede Stunde eine neue Entdeckung –«(…)*2


(Dr. Joachim Studberg im Archiv)


Der emsige Sammler der Wuppertaler Hochschulgeschichte erhält pro Jahr ca. 70 Zugänge, meist aus den Fakultäten, der Hochschulverwaltung und den Zentralen Einrichtungen, was einem Umfang von in ca. 500 Aktenordnern entspricht. Und schon bei den Abgabeangeboten muss er vorsortieren. „Wir sind ja keine Registratur oder Rumpelkammer“, erklärt er, daher lehnt er auch viele Angebote, wenn nicht archivwürdig, ab: „Bei zwanzig Prozent der Fälle fahre ich in die Abgabestelle und mache mir vor Ort selber ein Bild.“ Studberg hat dann immer einen Bleistift dabei, um interessantes Material mit „A“ für „Archivwürdig“ zu kennzeichnen.

Auf diesem Wege geriet auch eine sehr interessante Trouvaille des früheren Physikprofessors Jürgen Drees in sein Archiv. „Es bleiben viele Unterlagen der Professoren, lange nachdem sie emeritiert sind, in den Schränken der Fakultäten“, erzählt er, die dann irgendwann entsorgt werden. Der Tipp eines ihm gut bekannten Hochschulmitarbeiters der Physik, der den Entsorgungsvorgang verfolgte, brachte den Archivar in die Fakultät. „Dort waren Schränke in den Flur gestellt mit Rücklässen von vielen Physikprofessoren“, berichtet er. „Ich habe nur gesagt: `Nicht wegwerfen! ´“

Dr. Studberg sichert und lagert die archivwürdigen Materialien im Hochschularchiv. Da er selber den fachwissenschaftlichen Wert nicht immer beurteilen kann, rief er im oben genannten Fall kurzerhand den Emeritus an und beide begutachteten die Schriftstücke. Dabei stieß Professor Drees auf seine alten USA-Unterlagen. „Er hatte sie völlig vergessen, er besaß aus seiner Zeit in den USA, als er mit den nachmaligen Nobelpreisträgern Prof. Dr. Taylor, Prof. Dr. Friedman und Prof. Dr. Kendall zusammengearbeitet hatte, eine Kladde mit Aufzeichnungen und Daten, die eine der Grundlagen für den späteren Nobelpreis waren.“ Diese privaten Unterlagen übereignete er honoriger Weise dann dem Universitätsarchiv.

Dass das Archiv auch Unterlagen beherbergt, die uns heute zum Schmunzeln bringen, zeigt eine weitere Archivale. Studenten der früheren Werkkunstschule Wuppertal, aus der die heutigen Designer hervorgegangen sind, organisierten in den 50er Jahren stadtbekannte Karneval-Partys, die den Gesetzeshütern nicht ganz koscher erschienen. So schleuste die Polizei in die Feten einen Spitzel ein, der verbotenes Treiben beobachten sollte und hernach Bericht erstattete. So kam es dazu, dass es einen im Archiv erhaltenen Brief des damaligen Polizeipräsidenten gibt, der seinerzeit an den Direktor der Werkkunstschule schrieb. Dazu Studberg: „Demnach hat der Beamte festgestellt, dass sich Studentinnen in dunklen Ecken ihrer Büstenheber entledigten, um sich dann mit ihren Kommilitonen, Zitat: „wilden Jazztänzen hinzugeben“.

Wie wichtig es ist, den Kontakt zu Professoren und Mitarbeitern zu pflegen und auch an Ehemaligentreffen teilzunehmen, zeigt sich für den Archivar oft erst im Nachhinein. „Von Ehemaligen bekam ich im Nachgang Fotos aus ihrer Studienzeit, Urkunden und Studienbücher, die sie dem Archiv schenkten.“

Besonders stolz ist Studberg auf ein einzigartiges Fotoalbum des früheren stellvertretenden Baudezernatsleiters Klaus Nölle, der die ersten Bauarbeiten am Campus Grifflenberg dokumentiert hat. „Großes Glück ist, dass Herr Nölle ein Herz für die Uni hat und dem Archiv sein Album geschenkt hat. Wir haben daraus einige Fotos digitalisiert, und die stehen auch auf der Archiv-Homepage.“

Aber allerdings, diese Wüste birgt ihre Oasen, und zu denen kommen wir in den Höhestunden unseres Daseins. (…) *3

Neben überwiegend schriftlichen Zeugnissen gehören auch Bilder, Plakate und Filme zum Bestand des Archivs. „Wir haben einen goldenen Ehrenring des Gründungsrektors, auch die Amtskette, die Rektor Maser designt hat und symbolische Gründungsschlüssel; das gehört alles zum Archivbestand.

Und dann sind da noch die sogenannten Dienstzimmerbilder. Dazu erzählt er lachend: „Bei dem Neubau der Pädagogischen Hochschule 1957 gab es noch Gelder für Kunst am Bau. Und witziger Weise war es unser späterer erster Konrektor, Professor Günter Sturm, der in den 50er Jahren beim Staatshochbauamt arbeitete, als er in Düsseldorf über eine Galerie ein Paket mit allen möglichen Bildern aus einem Etat „Kunst am Bau“ ankaufte. Dazu gehörten japanische Holzschnitte und handsignierte Drucke, die in den Dienstzimmern der PH-Professoren aufgehängt wurden. Das waren so etwa 70 Werke. Und einige sind dann, sagen wir es vorsichtig, diffundiert bis zum Umzug auf den Grifflenberg.“ Durch einen Zufall fand Studberg 2008 bei einem Professor einen handsignierten Druck von Lovis Corinth, eines der legendären Dienstzimmerbilder. „Mittlerweile haben wir über die Hälfte dieser Dienstzimmerbilder wieder zusammen, restauriert und signiert“, erklärt er. Diese und weitere gut einhundert registrierte Kunstwerke sind im ständigen Verleih, meist in den Büroräumen der Bergischen Universität. „Ich überlege immer, weil ich die Hochschule kenne, wer könnte da zu welchem Bild passen.“ Dadurch liegt seine Ausleihquote auch bei beachtlichen 98 Prozent.

Eine weitere kalte Spur im Kunstbereich konnte der engagierte Historiker schließlich erfolgreich verfolgen. Die Skulptur mit dem Titel „Start“ der Künstlerin Prof. Beate Schiff wurde ursprünglich 1973 hinter Gebäude I aufgestellt. Nachdem dort später Parkplätze gebaut wurden, verschwand die Skulptur für ca. zehn Jahre. Durch stetige Recherche und Mithilfe des Hochschul-Sozialwerks, konnte Studberg eruieren, dass das Objekt zunächst im Mensabereich untergebracht und dann in einer ehemaligen Panzergarage auf dem neuen Campus Freudenberg endgelagert worden war. „Dann wurde auf meine Bitte hin ein Gutachten zu der ramponierten Skulptur erstellt und Herr Vaupel von der Stadtsparkasse hat 25.000 Euro bewilligt, so dass über eine Fachwerkstatt eine Restaurierung erfolgen konnte. „Jetzt“, sagt er stolz, „steht sie neben dem Haupteingang an der Gaußstraße.“

Von hier aus, der Name „Start“ ist somit Programm, bietet Studberg historische Campusführungen zur Gründungs- und Baugeschichte an, die mittlerweile von vielen Kleingruppen angenommen werden.

Nun aber zum vierten und letzten Teil meiner Predigt – das ist die Wissenschaft als Arbeitsgebiet des Archivars. Die wissenschaftliche Forschung, die wir selbst in unsern Nebenstunden betreiben, und die, zu der wir den Forscher geleiten, der aus der großen wissenschaftlichen Welt an unsere Küste verschlagen wird. (…) *4

Eine große Herausforderung für die Zukunft ist die digitale Archivierung, die Studberg an einem einfachen Beispiel erläutert: „Die Jahreskalender der Rektoren waren früher noch in Leder gebunden. Da waren die wichtigen Termine drin. Heute haben wir Outlook-Kalender. Die Frage ist, dürfen wir diese Software überhaupt archivieren? Wie können digitale Formate unbegrenzt lesbar bleiben? Das ist eine hochkomplexe Sache.“ Da ist ein Arbeiten im engen Einvernehmen mit dem Zentrum für Informations- und Medienverarbeitung (ZIM) unerlässlich.

Wichtig ist ihm vor allem, dass das Uniarchiv ein öffentliches Archiv ist, offen für interne und externe Anfragen. „Ich bekomme auch relativ viele Anfragen von außen“, sagt er und wünscht sich „dass die Professoren aller Fakultäten ihre Studierenden ermuntern, zum Beispiel Ihre Masterthesis zumindest mit Hilfe von Archivbeständen zu schreiben. Wir haben viele interessante Quellen, auch in den Nachlässen. Ich wünsche mir, dass im Universitätsarchiv noch mehr wissenschaftlich gearbeitet wird.“

Der Archivar saß in seinem Amtszimmer zu ebener Erde des Archivgebäudes und schob langsam ein Brennglas über die bös verblassten Zeilen einer großen Urkunde. (…) *5

Im Magazinraum legt Joachim Studberg seine weißen Baumwollhandschuhe an, um ein handschriftliches Dozentenkonferenzbuch der Wuppertaler PH zu zeigen. In diesem Moment erinnert er an den Romanhelden von August Sperl, wenn er, fast ehrfürchtig, die Seiten des Buches blättert und damit eindringlich zeigt, wie wichtig ihm diese Arbeit ist.

*1-5 aus: August Sperl, Der Archivar, München 1921

Uwe Blass (Gespräch vom 26.04.2018)
 


Dr. Joachim Studberg studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in Wuppertal und arbeitet seit 1990 als Archivar und Studienberater an der Bergischen Universität.

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