Edgar J. Hoover wird Chef des FBI
Dr. Volker Mittendorf/ Politikwissenschaft
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Geheimdossiers waren seine wichtigsten Herrschaftsinstrumente

Der Politikwissenschaftler Volker Mittendorf über Edgar J. Hoover, der vor 100 Jahren Chef des FBI wurde

Wer war John Edgar Hoover?

Mittendorf: John Edgar Hoover war sicher zeit seines Lebens als Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI) einer der mächtigsten Männer der USA. Hoover hat das FBI aus einer eher unbedeutenden, skandalbehafteten Behörde, zu einem großen und professionalisierten Unternehmen innerhalb des amerikanischen Staates ausgebaut.

Hoover organisierte 1920 eine der größten Massenverhaftungen in den USA, die sogenannten Palmer-Razzien. Um was ging es da?

Mittendorf: Das muss man in das amerikanische System einordnen. Das Entscheidende ist, dass der Generalstaatsanwalt, eigentlich nicht anders als der Generalsbundesanwalt in Deutschland, nur zu Verbrechen ermitteln kann, die quasi den gesamten Staat betreffen. Die Palmer-Razzien 1920, am Ende des Ersten Weltkrieges, muss man vor dem Hintergrund der Phase der russischen Revolution und der damit verbundenen Kommunistenangst betrachten. Man hatte Sorge vor imaginierten und tatsächlichen Umsturzversuchen, man hatte Einwanderergruppen im Verdacht, die kommunistisch oder linksradikal agieren würden. Und da hat das frühere Bureau of Investigation (BOI), dessen Chef damals noch nicht Hoover war, viele Menschen verhaftet, oft auch ohne Rechtsgrundlage. Die Angst kam dann in den 50er Jahren mit dem McCarthyismus in ähnlicher Form zurück.

Die Vorgängerinstitution des Federal Bureau of Investigation („Bundesamt für Ermittlungen“), kurz FBI genannt, hieß Bureau of Investigation (BOI) und hatte einen denkbar schlechten Ruf. Warum?

Mittendorf: Vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass viele Ermittlungsverfahren, aufgrund der Kommunistenfurcht und der Angst vor Landesverrat illegal durchgeführt wurden. Die als notwendig empfundene Professionalisierung funktionierte nicht wirklich, da man damals den Chef einer ehemaligen Detektivagentur eingesetzt hatte. Pinkerton war die eine große Detektivagentur und Burns die andere. William John Burns sollte also das BOI professionalisieren, die Ermittlungsmethoden verbessern. Vor dem Hintergrund, dass der Föderalstaat in den USA zunächst kaum direkte Strafermittlungsbefugnisse – außer z.B. bei Landesverrat und bei Verbrechen der Börsen- und Finanzaufsicht – hatte, lagen die Hoffnungen bei ihm. Doch er geriet in den Strudel zweier Korruptionsskandale und wurde zum Rücktritt gezwungen. Hoover nutzte die Gunst der Stunde und wurde selber zum Chef der Behörde.

Am 10. Mai 1924 wurde Hoover Chef dieser Institution. Wie kam er dazu?

Mittendorf: Hoover war sehr engagiert und versiert und hatte ein Geschäftsmodell im Hinterkopf. Es ist ihm damals gut gelungen, sich zum richtigen Zeitpunkt zu empfehlen. Der historische Prozess ist vielleicht gar nicht so wichtig, spannender ist vielmehr, dass es ihm gelungen ist, diese Behörde, die vorher schon seit 1908 sechs Chefs gehabt hatte, zu beherrschen und so weit auszubauen, dass sie quasi wie ein Staat im Staat fungierte. Diese Macht hat er zeitlebens erhalten. Das konnte er, weil er über seine Chefs, seine Vorgesetzten, Politiker und wichtige Personen des öffentlichen Lebens, Dossiers anlegen ließ, auf die nur er und seine Sekretärin Zugriff hatten. Das war eines seiner wichtigsten Herrschaftsinstrumente. Wenn irgendjemand an seinem Stuhl gesägt hat, konnte er einfach eine Akte dieser Person hervorholen, die genaue Informationen über dessen Privatleben enthielt. Z. B. wusste er genauestens über die Liebschaften John F. Kennedys Bescheid und wurde so über die Jahrzehnte auch für die Demokraten unantastbar. Nach seinem Tod 1972 hat es viele Aufarbeitungen gegeben. Die verdachtsunabhängigen Abhörmaßnahmen – das berühmteste Beispiel ist vielleicht der Fall Marylin Monroe – wurden unter richterlichen Vorbehalt gestellt, die Rolle des FBI wurde neu bewertet.

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Was änderte er nach seiner Amtsübernahme?

Mittendorf:  Er hat es nicht nur verstanden, die Kommunistenfurcht zu bedienen, sondern sich an allen Fragestellungen der Folgen der Industrialisierung, die immer wichtiger wurden, orientiert. Die Menschen wurden mobiler und die Verbrechen gingen oft über die Staatsgrenzen hinaus oder fanden in mehreren Staaten statt. Die wurden von Hoover als Bundesangelegenheit wahrgenommen und dann auch in ein Bundesgesetz geschrieben. In den USA sind die einzelnen Staaten selbst zuständig, nicht nur die eigene Polizei aufzustellen, sondern auch die Strafgesetze werden in den einzelnen Staaten (und zusätzlich auf föderaler Ebene) erlassen. Nur wenige Strafgesetze gibt es auf der gesamten Bundesebene. Dazu gehörten der Landesverrat und die staatsübergreifende Kriminalität. Er hat das FBI in den Fokus der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Damit hat sich Hoover relativ schnell einen Namen gemacht, indem er nicht nur die Politik, sondern auch die Öffentlichkeit auf die Seite des FBI gezogen hat. Das tat er mit der Einführung der 10 Staatsfeinde Nr. 1, John Dillinger (amerik. Bankräuber, Anm. d. Red.) gehörte als erster dazu. Es wurde dann sozusagen ´cool`, ein FBI-Agent zu sein. Er engagierte sich auch früh in Hollywood, als erste Kriminalserien fürs Fernsehen entstanden, wo das FBI als die positive Behörde herausgestellt wurde. Er hat wahrgenommen, dass Kriminalität auch staatsübergreifend verfolgt werden muss und diese Auffassung popularisiert. Er hat sich in den 30er Jahren Zugriffsmöglichkeiten erarbeitet und trat damit in Konkurrenz zu den Polizeibehörden der Staaten, ganz im Gegensatz zu unserem BKA, denn die dürfen zwar ermitteln, jedoch nicht zugreifen: Polizei ist hier Ländersache. Das ist beim FBI seit Hoover anders. Waffenbesitz und Zugriff machten das FBI als Behörde immer wichtiger. Daher bekam er immer mehr Mitarbeiter und konnte sich viele Ressourcen sichern. Zum einen arbeitete er damit im Bereich Staatsschutz im Verborgenen, zum anderen im Bereich der organisierten Kriminalität ganz öffentlich. Er professionalisierte seine eigene Aktenführung und machte das FBI zu einer sehr effektiven Behörde.

Hoover war nicht unumstritten, hatte aber großen Einfluss auf Präsidenten, Generalstaatsanwälte und Kongressmitglieder. Wodurch?

Mittendorf: Das FBI war ursprünglich dem Generalstaatsanwalt zugeordnet gewesen, später dem Justizministerium. Seinen Einfluss hatte er vor allem durch seinen Wissensvorsprung einerseits gegen die Amtsinhaber selbst. Da gibt es einige Zeugnisse, wie er einem seiner wichtigsten Gegner, Robert Kennedy, mehr oder weniger durch sein Wissen klargemacht hat, dass eine Entmachtung für ihn nicht in Frage käme. Weil er sehr frühzeitig Akten über Menschen anlegte, konnte er damit auf der anderen Seite „seinen“ Politikern auch bei deren Karrieren helfen.

Er war ein Gegner der Bürgerrechtsbewegung durch Martin Luther King, den er als „schwarzen Messias“ bezeichnete. Die Kennedys hassten ihn. Warum?

Mittendorf: Er war äußerst konservativ, lehnte Demokraten eher ab. Sein Kommunistenhass war bekannt, man konnte ihm Rassismus nicht unbedingt vorwerfen, aber er war schon ein Feindbild der Bürgerrechtsbewegung, denn die verfolgte er genau so, wie die Kommunisten. Für ihn wollte diese Bewegung den Staat im Sinne von mehr Gleichheit aller Bürger verändern, und das war nicht in seinem Sinne.

Er blieb hochgeachtet bis zu seinem Tod. Helen Gandy, seine persönliche Assistentin koordinierte nach Hoovers Tod die Zerstörung aller seiner Unterlagen. Warum?

Mittendorf: Hoover besaß Geheimakten, die nur nach einem persönlichen Schlüssel, den nur er und seine Sekretärin kannten, verschlüsselt waren. Das war zu diesem Zeitpunkt auch in den USA schon ungewöhnlich. Es waren vor allem keine Ermittlungsakten, die man wegen Verbrechen angelegt hatte, sondern Dossiers mit persönlichen Schwächen über alle möglichen Personen in Kultur, Medien (v.a. in Hollywood) und Politik. Die sollten auch nach seinem Tod nicht öffentlich bekannt werden. Deshalb hat er dafür gesorgt, dass diese Dossiers nach seinem Tod vernichtet wurden.

Herr Mittendorf, Sie haben sich mit „Demokratietheorie und Regierungssystemforschung“ und aktuellen und längerfristigen Entwicklungen politischer Herrschaftsformen beschäftigt. Wie wichtig sind Geheimdienste für die Politik?

Mittendorf: Da kommen wir zu dem, was wir in Deutschland haben. Zu Beginn meiner Tätigkeit an der Universität habe ich mich intensiver in einem Arbeitskreis mit dem Politikfeld „Innere Sicherheit“ auseinandergesetzt, vor allem aus der Perspektive des Vergleichs zur Entwicklung des Bundeskriminalamtes 50 Jahre später und weniger unter geheimdienstlicher Geschichte. Deutschland hat im engeren Sinne keine Geheimdienste. Geheimdienst bezeichnet man eine Behörde, die im Verborgenen arbeitet und auch Zugriffsrechte hat. Solche Zugriffsrechte (etwa verdeckte Operationen) haben die Nachrichtendienste in Deutschland nicht. Bundesnachrichtendienst oder das Bundesamt für Verfassungsschutz dürfen ermitteln, also Informationen auswerten und dazu auch V-Leute einsetzen oder ähnliches, aber sie dürfen in Deutschland nicht operativ tätig werden. Das gilt im Prinzip auch für das BKA, welches eine Ermittlungsbehörde ist und keine Zugriffe machen darf und z.B. für die Länderpolizeien unterstützend tätig ist. Das ist eine Lehre, die man aus der NS-Zeit, wo die geheime Staatspolizei geheim ermittelt, operiert und zugegriffen hat. Daher trennt man zwischen Polizeibefugnissen und nachrichtendienstlichen Befugnissen. Ein zweiter wichtiger und auch spannender Punkt im Vergleich zu den USA ist, dass die, auch in Deutschland durch die Mobilität und Globalisierung dazu führt, dass sich die Kriminalität verändert und nicht an Landes- und Staatsgrenzen haltmacht. Dies führt zur objektiven Notwendigkeit grenzüberschreitend Ermittlungsarbeit und Arbeit an der inneren Sicherheit vorzunehmen. Das ist keine Entwicklung der 90er Jahre, sondern existiert als Trend schon seit der Industrialisierung und wird zunehmend europäischer und globaler. Verbrechensbekämpfung geht heute nicht mehr allein mit lokalen Behörden, die den Blick nur auf ihren Bereich richten. Das ist beim FBI vor allem in der organisierten Kriminalität der 1920er sichtbar geworden. Und auch seit den 60er und 70er Jahren hat es entsprechende Entwicklungsschübe in Deutschland gegeben. Die Erkenntnis ist gewachsen, dass Maßnahmen zur Inneren Sicherheit auch grenzüberschreitend ergriffen werden müssen. Das hat Hoover sicher sehr gut erkannt, und das ist auch sicher ein Grund, warum er den Chefposten des FBI über 40 Jahre behalten konnte. Dass die Machtanhäufung aber auch problematisch ist, hat man nach seinem Tod erkannt und Gesetze erlassen, die die Methoden stärker rechtsstaatlich angelegt haben.

Uwe Blass

Dr. Volker Mittendorf ist Akademischer Rat an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW). Seine Forschungsfelder umfassen das Politische System der Bundesrepublik Deutschland, Lokale Politikforschung, Partizipation, Effekte direktdemokratischer Verfahren und Argumentationsmuster in der Wahlkampfkommunikation.

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