„Danke für die Blumen. Rechte wären uns lieber“
Die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt über die Einführung des Muttertages am 13. Mai 1923
Den Muttertag an sich gab es schon im antiken Griechenland und bei den Römern. In seiner heutigen Form wurde er allerdings durch die englische und US-amerikanische Frauenbewegung geprägt. Wie kam es dazu?
Messerschmidt: In der griechischen Antike war die Verehrung der Mutterschaft auf ihre göttliche Repräsentation bezogen, wie bei den Frühlingsfesten der Göttin Rhea, der Mutter des Zeus. Diese Huldigung in einer Welt vieler Gottheiten galt der Fruchtbarkeit der Natur und war stark von den Jahreszeiten beeinflusst. Von modernen Weltbildern ist dieser Kontext klar zu unterscheiden. Insofern sehe ich hier keine Zusammenhänge.
1865 rief die US-Amerikanerin Ann Maria Reeves Jarvis eine Mütterbewegung mit dem Namen Mothers‘ Friendships Day ins Leben. Wenige Jahre später gründete Julia Ward Howe eine Mütter-Friedenstag-Initiative mit dem Ziel, dass Söhne nicht mehr Kriegen zum Opfer fallen sollten. Die Tochter von Ann Maria Reeves Jarvis, die Methodistin Anna Marie Jarvis, gilt als Schöpferin des heutigen Muttertags.
In Europa kann die Österreicherin Marianne Hainisch als Begründerin des Muttertags gelten. Hainisch war Mitglied des 1866 gegründeten Wiener Frauenerwerbsvereins und gilt als Vorreiterin der österreichischen bürgerlichen Frauenbewegung. Sie engagierte sich für die berufliche Bildung von Frauen der unteren Mittelschicht und trat für die Errichtung von Realgymnasien für Mädchen und für die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium ein. Im Rahmen der Volksbildung setzte sie sich dafür ein, die Jugend auf ihre spätere Elternschaft vorzubereiten und plädierte für einen Elternunterricht in den oberen Klassen der Volksschule. Ihre Äußerungen zeugen von einem konservativen Frauenbild mit der Mutterschaft im Mittelpunkt, bei gleichzeitigem Engagement für Frauenbildung. Mit dem Einsatz für den Muttertag, der seit 1924 in Österreich begangen wird, wollte sie den Müttern mehr gesellschaftliche Anerkennung zukommen lassen. Um diese Anerkennung ging es auch bei der Einführung des Muttertages in Deutschland am 13. Mai 1923. Hier war das Ganze allerdings kaum mit der Frauenbewegung verbunden.
Es ging den Frauen nicht mehr nur um die Anerkennung der Mütter. Als federführende Kraft gilt heute allgemein die Amerikanerin Anna Marie Jarvis, die es schaffte, dass bereits 1914 in den USA der Muttertag als nationaler Feiertag eingeführt wurde. Wie gelang ihr das?
Messerschmidt: Am 12. Mai 1907 veranstaltete Anna Marie Jarvis ein Memorial Mothers Day Meeting in Grafton (West Virginia, USA) – der Tag fiel auf den Sonntag nach dem zweiten Todestag ihrer Mutter. Es handelt sich also eher um einen Mutter-Gedächtnis-Tag. 1909 wurde der Muttertag bereits in 45 Staaten der USA gefeiert. Offensichtlich stimmte die Idee mit dem Zeitgeist überein. Der erste offizielle Muttertag wurde 1908 begangen. Die Inszenierung war sehr emotional und auf diesem Weg des Appellierens an Gefühle der Verehrung trat Jarvis für den Muttertag ein. Sowohl die lebenden wie die verstorbenen Mütter sollten geehrt werden. Aus meiner Sicht war dieses Bemühen erfolgreich, weil es in die Zeit passte und die bestehende Geschlechterordnung nicht störte. Argumentiert wurde auch mit einer notwendigen „Hebung der Sittlichkeit“ gegen den moralischen Verfall. Die „Ehrung der Mutter“ sollte die „Familie stützen und die Jugend veredeln“, wie Marianne Hainisch in einem Essay von 1926 formulierte. An ihr zeigt sich die Gleichzeitigkeit von konservativen Familienidealen und Emanzipation, was für das ganze Geschehen um die Gründung des Muttertages gilt.
Der US-Kongress erließ am 8. Mai 1914 die sogenannte „Joint Resolution Designating the Second Sunday in May as Mother’s Day“ und so wurde erstmals 1914 der Muttertag als nationaler Feiertag begangen. In Großbritannien wurde das Konzept Muttertag schnell angenommen und verbreitete sich von dort aus weiter in der Schweiz (1917), in Finnland und Norwegen (1918), Schweden (1919) und Österreich (1924). In den Jahren 1922/1923 gelangte die Bewegung auch nach Deutschland und war hier von Anfang an mit einem restaurativen Familienmodell verknüpft, bei dem die männliche Seite der Produktion und somit der Lohnarbeit zugeordnet ist und die weibliche Seite der Reproduktion, also der Familienarbeit.
In Deutschland und Europa waren die 1920er Jahre zugleich vom Aufbruch der Frauen geprägt. Demgegenüber diente der deutsche Muttertag in der Weimarer Republik dazu, die traditionelle Geschlechterordnung durch eine symbolische Aufwertung von Mutterschaft wieder zu stärken. Doch die Überhöhung der Mutter ging und geht einher mit der Abwertung und Ausbeutung weiblicher Arbeit, die heute zunehmend auf migrantische Dienstleister:innen verlagert worden ist, ohne deren rechtliche Situation zu stärken und die emanzipatorischen Anliegen entsprechend migrationsgesellschaftlich zu erweitern. Für die deutsche Frauenbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Muttertag eindeutig restaurativ. Das Münchner Frauenforum formulierte 1977 auf einem Plakat: „Danke für die Blumen. Rechte wären uns lieber!“
In Deutschland startete der Muttertag eigentlich sehr unpolitisch durch den Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber mit dem Slogan „Ehret die Mutter“ als Tag der Blumenwünsche und wurde dann am 13. Mai 1923 letztendlich als erster Muttertag durch den Vorsitzenden des Verbandes, Rudolf Knauer, offiziell bestätigt.
Messerschmidt: Die Initiative der Blumenhändler wirkt zwar unpolitisch, ist aber im Geist der Zeit und in den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges bereits mit dem Bild von der Soldatenmutter verknüpft. Für Knauer ging es sicher in erster Linie um das Geschäftsinteresse. Zugleich ist das Jahr 1923 schon eng mit der NS-Bewegung verbunden, als in München ein Putsch versucht wurde und scheiterte. Die starken rechten Kräfte in Bayern wendeten sich gegen die Weimarer Verfassung. Der sogenannte „Hitler-Putsch“ wurde später in einen heroischen Aufstand umgedeutet und verklärt. In der Gründungsphase des Muttertages in Deutschland wurde der eigens dafür gegründete „Vorbereitende Ausschuss für den Deutschen Muttertag“ zwei Jahre später in die „Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundheit“ integriert, die mit dem Ziel gegründet worden war, die „guten Sitten“ und die „deutsche Würde“ zu propagieren und dem „Verfall der Familie“ entgegenzuwirken. Man wendete sich gegen das Bild der modernen Frau, die selbstbewusst ihre eigenen Interessen vertritt und in der Öffentlichkeit auch modisch auffallen wollte.
Auch die ersten Zusammenschlüsse von Frauen im Umfeld der NSDAP entstanden um 1923. Ihre Aufgaben waren vor allem Hilfe bei Wahlkampagnen, Verpflegung und Bekleidung von SA-Männern und Verwundetenpflege. Einer dieser frühen Zusammenschlüsse war der von Elsbeth Zander gegründete und geleitete Deutsche Frauenorden (DFO), der 1926 als Frauenorganisation der Partei anerkannt und 1928 als Gliederung in die NSDAP aufgenommen wurde. Die NS-Frauenorganisationen lehnten die Ziele der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegungen weitgehend ab und vertraten den Anspruch, eine "neue Frauenbewegung" zu bilden. Nach 1930, als die NSDAP für Frauen attraktiver wurde, kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der NS-Frauenorganisationen. Es ergibt sich hier kein einheitliches, auf die Mutterrolle reduziertes Bild. Deshalb würde ich auch die Bedeutung des Muttertages in diesem Zusammenhang relativieren. Der Tag wurde angeeignet, doch wichtiger war der Beitrag der Frauen bei der Umsetzung politischer Programmatik.
Im Dritten Reich wurde der Muttertag mit der Idee der germanischen Herrenrasse verknüpft, kinderreiche Mütter galten als Heldinnen des Volkes. 1938 gab es zum ersten Mal auch das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter. Kam diese Entwicklung einem Missbrauch dieses Tages gleich?
Messerschmidt: Der Mutterkult der nationalsozialistischen Bewegung wird häufig überschätzt. Zwar wurde der „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ bereits 1934 eingeführt und blieb Teil des nationalsozialistischen Feiertagsjahres, und Propagandaminister Goebbels rief im selben Jahr den „Reichsmütterdienst im deutschen Frauenwerk“ ins Leben. Doch die Geschlechterpolitik des Nationalsozialismus war ausgesprochen ambivalent. Sie schwankte zwischen der Reduktion der Frau auf ihre Mutterrolle und der Umsetzung der völkischen Rassenpolitik, an deren Erfolg die Frauen, die der sogenannten „Volksgemeinschaft“ angehörten, mitwirken sollten und mitwirkten, und zwar nicht nur als Gebärerinnen von „erbgesundem“ und nach rassistischen Kriterien „reinen“ Nachwuchses, sondern auch als Funktionärinnen in den Institutionen der NS-Administration, wenn auch nie in Leitungsfunktionen. Somit bot der NS den als volkszugehörig anerkannten Frauen Tätigkeitsfelder und Aufstiegschancen jenseits der Mutterrolle. Die Nationalsozialisten erkannten allerdings das propagandistische Potenzial des Tages und verliehen an diesem Tag das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“ für volkszugehörige deutsche Frauen mit vielen Kindern oder mit im Krieg gefallenen Söhnen. Die Verehrung der „deutschen Mutter“ war allerdings exklusiv. Sie galt den Müttern, die den Zugehörigkeitskriterien der „Volksgemeinschaft“ entsprachen.
Im Gegensatz dazu waren jüdische Mütter, Frauen und Mädchen, Sintize und Romnja sowie die Frauen in den eroberten und besetzten Ländern Verfolgung und Massenmord ausgeliefert. Die angebliche Verehrung der Mutter war rassistisch und antisemitisch gespalten. In der historischen Frauenforschung sprechen wir von einer antinatalistischen Politik im Kontext der fortschreitenden Radikalisierung von Deportation, Internierung, Zwangsarbeit und Vernichtungskrieg. D.h. eine Politik, die Mutterschaft verhinderte, vor allem durch Zwangsabtreibungen. Es galten eben nur bestimmte „kinderreiche Mütter“ als „Heldinnen des Volkes“. Das ist wichtig festzuhalten, da erst dadurch klar wird, dass die NS-Geschlechterpolitik von der völkischen Rassenpolitik dominiert wurde. Frauen, die in der nationalen Gemeinschaftspolitik als zugehörig galten, machten darin Karriere und waren nicht nur als Mütter gefragt. Die Verehrung des Mütterlichen ist buchstäblich nur die halbe Wahrheit über die Geschlechterpolitik der Nationalsozialisten, die spätestens nach 1939 die Mitwirkung der Frauen bei der Umsetzung von völkischer Politik, Raub und der Erweiterung des sogenannten „Lebensraums“ brauchten und auch bekamen.
Was den Muttertag angeht, so würde ich hier nicht von „Missbrauch“ sprechen, sondern eher von einem speziellen Gebrauch dieses Tages zum Nutzen der NS-Ideologie – insofern als er für die Frauen, die zur deutschen Volksgemeinschaft gehörten einen Anlass zur Verehrung bot. Der Muttertag war nicht entscheidend für die Identifikation der als „arisch“ eingeordneten deutschen Frauen mit dem NS-System. Von Anfang an gab es viel Begeisterung unter diesen Frauen für den Führerkult und dessen Masseninszenierungen. Zwar wurden Frauen zunächst aus den höheren Berufslaufbahnen verdrängt und auch die Zulassungen zu Universitäten eingeschränkt, doch mit dem Kriegsbeginn änderte sich diese Politik teilweise, um Frauen verstärkt für Tätigkeiten außerhalb der Familie zu gewinnen. Es wurden mehr Frauen in der Industrie gebraucht, um die Rüstungsproduktion zu beschleunigen und weil die Männer an der Front waren. Dass die Frauen sich nicht ganz aus den akademischen Bildungslaufbahnen verdrängen ließen, ist beispielsweise auch an den Ereignissen in der Münchner Universität 1943 ablesbar, als Gauleiter Paul Giesler den lautstarken Unmut der Studentinnen erlebte, weil er sich in abfälliger Weise über das Studium von Frauen äußerte. Trotz der Propaganda der Mutterschaft waren diese Frauen also immer noch an der Universität.
Anna Marie Jarvis distanzierte sich im Laufe der Jahre von Ihrer Idee und sagte: „Ich wollte, dass es ein Tag des Nachdenkens ist und nicht des Profits“. Sie gab den Blumenhändlern weitestgehend die Schuld, die durch ihre Habgier eine der „edelsten, reinsten Bewegungen und Feierlichkeiten“ unterlaufen hätten. Bis heute ist der Muttertag in Deutschland nicht gesetzlich verankert. Sein Datum basiert auf Übereinkünften von Wirtschaftsverbänden. Welche Bedeutung hat der Muttertag in unserer heutigen Gesellschaft noch?
Messerschmidt: Die Kommerzialisierung des Muttertages hat vermutlich dazu beigetragen, seinen verehrenden Charakter zu relativieren und ihn profaner erscheinen zu lassen. Für die heutigen Frauenbewegungen hat dieser Tag keine Bedeutung, es sei denn als Zeichen für ein zwar überkommenes, aber immer noch nicht überwundenes Geschlechtermodell, das sich heute vorwiegend im Westen Deutschlands zeigt, während die östlichen Bundesländer über eine andere Tradition des Mütterlichen verfügen.
Aufgrund des antifaschistischen staatlichen Selbstbildes verzichtete die DDR auf den Muttertag und beging stattdessen den Internationalen Frauentag, der 1933 in Deutschland verboten worden war und mit dessen Begehung in der DDR auch ein antifaschistisches Bekenntnis verbunden wurde. Doch die innerfamiliäre Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern ist auch in der DDR kaum grundlegend verändert worden. Dennoch ist der Ost-West-Unterschied für die heutigen Verhältnisse interessant. Während in der Bundesrepublik Deutschland ein konservatives Familienbild lange dominiert hat, dass Frauen mit Kindern jede Berufstätigkeit erschwerte, setzte die DDR-Geschlechterpolitik auf die volle Berufstätigkeit der Mütter und stellte dafür eine Vielzahl an Betreuungsplätzen auch für Kinder unter drei Jahren zur Verfügung. Bis heute sind diese Unterschiede an der ungleichen Kita-Ausstattung in Ost und West ablesbar. Während im Osten über 50 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Kita oder Kindertagespflege besuchen, sind es im Westen lediglich um die 30 Prozent.
Darüber hinaus ist der moralische Druck auf berufstätige Mütter in Deutschland noch immer ausgeprägt, wobei sich dieser nicht nur auf die Fürsorge-Verantwortung für die Kinder bezieht, sondern zugleich auf ein erfolgreiches Berufsleben. Beides muss der modernen Frau heute gelingen. Die meisten Frauen, die einen interessanten Beruf haben, überlegen sich Lösungen, um Kind und Beruf unter einen Hut zu bringen. Dafür sind allerdings die strukturellen Bedingungen an vielen Stellen äußerst schwierig. Der Muttertag steht dagegen für ein Entweder-Oder, welches heute die wenigsten Frauen wollen und die allerwenigsten Mütter sich leisten können.
Uwe Blass
Prof. Dr. Astrid Messerschmidt habilitierte sich für Pädagogik 2009 am Fachbereich Humanwissenschaften der Technischen Universität Darmstadt. Sie arbeitete u.a. als Professorin für Interkulturelle Pädagogik/Lebenslange Bildung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Seit 2016 forscht und lehrt sie als Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Geschlecht und Diversität an der Bergischen Universität.