Erfindung des Lichttonverfahrens
Prof. em. Dr.-Ing. Uwe E. Kraus / Nachrichtentechnik
Foto: Pressearchiv Uni Wuppertal

Als der Stummfilm eine Stimme bekam
Die Erfindung des Lichttonverfahrens

Ein Interview mit Prof. em. Dr.-Ing. Uwe E. Kraus, langjähriger Leiter des Lehrstuhls für Nachrichtentechnik an der Bergischen Universität.

Der deutsche Ingenieur Hans Vogt war Anfang der 20er Jahre einer der Erfinder des neuen Lichttonverfahrens. Zusammen mit Joseph Massolle und Joseph Benedict Engl gründete er die Gesellschaft „Tri-Ergon“, was soviel bedeutet wie Das Werk der Drei. Was war das Revolutionäre an dieser Erfindung?

Kraus: Nach jahrzehntelangem Einsatz des Stummfilms konnten jetzt erstmals die Stimmen der Schauspieler, Umgebungsgeräusche und Begleitmusik hörbar gemacht werden. Der Ton eines Kinofilms wurde dabei auf einem maximal 2,54 mm breiten, Tonspur genannten Streifen zwischen den Filmbildern und den Perforationslöchern des Films fotografisch gespeichert. Dazu steuert das elektrische Tonsignal die Helligkeit einer Lampe, deren Licht über einen schmalen Querspalt auf die genannte Tonspur fällt und zu dem Tonsignal analoge Schwärzungen des Films in Laufrichtung hervorruft.
Für die Massenverbreitung besteht der Vorteil des Lichttonverfahrens im Wesentlichen darin, dass die Filmbilder und die Tonspur bei der Herstellung der Filmkopien gemeinsam kopiert werden. Zudem ist die Lichttonspur bezüglich der Filmbilder örtlich und damit auch zeitlich fixiert, mithin stets lippensynchron und sie kann auch nicht wie beim Magnetton versehentlich gelöscht werden. Nachteil ist (wie beim eigentlichen Filmbild auch) die Anfälligkeit für Kratzer, was zu Tonstörungen führen kann, aber auch bei einem unbeschädigten Film ist der Tonfrequenzbereich eingeschränkt, was aber damals nicht als störend empfunden wurde.
 

Farbfilm-Übertragungsanlage FC 35 L 15 A
Foto: Stephan Uchrin

Was passiert eigentlich technisch bei diesem Verfahren im Projektor?

Kraus: Eine kleine Lampe konstanter Helligkeit im Lichttongerät beleuchtet die Tonspur durch einen dazu quer-orientierten, schmalen Spalt hindurch.
Entsprechend den veränderlichen Schwärzungen auf der Tonspur schwankt die Helligkeit des auf der gegenüberliegenden Seite des Films austretenden Lichts. Dieses wird von einer Fotozelle in ein elektrisches Signal, also in das reproduzierte Tonsignal umgewandelt und über Verstärker den Lautsprechern im Kinosaal zugeführt.
Zur Projektion wird der Film zwischen frei schwingenden Schleifen jeweils eine oberhalb und eine unterhalb des Bildfensters schrittweise/bildweise nach unten bewegt. Während der Projektion steht das Filmbild im Bildfenster still; während des Filmtransports zum nächsten Filmbild unterbricht eine rotierende Flügelblende das Licht in Richtung Leinwand.
Die Tonspur muss dagegen von einem konstant laufenden Filmstück abgelesen werden. Im Lichttongerät sorgt die so genannte Tonwelle, die mit einem Schwungrad verbunden ist, für einen ruhigen gleichförmigen Filmlauf. Das geschieht – in Film-Laufrichtung gesehen – hinter dem Projektionsobjektiv des Projektors. Wegen dieser technisch unterschiedlichen Wiedergabe-Bedingungen sind Bild und Tonspur auf dem Film zueinander versetzt. Ein Tonereignis liegt deshalb nicht direkt neben dem zugehörigen Bild sondern in Laufrichtung um jeweils 20 Bilder voraus.

Die drei deutschen Ingenieure entwickelten dazu neue Fotozellen auf der Basis von Elektronenröhren und meldeten ca. 150 Patente an. Trotzdem war die Erfindung in Deutschland, selbst nach der ersten Licht-Ton-Aufführung am 17. September 1922 im Berliner Filmtheater Alhambra, nicht erfolgreich. Warum nicht?


Kraus: Es waren im Wesentlichen die technischen Mängel.1925 war einer der drei, Joseph Benedict Engl, für den Ton des von der „Universum-Film AG“ (UFA) in Berlin produzierten Kurzfilms „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ nach dem Märchen von Hans Christian Andersen zuständig. Die Premiere musste allerdings aufgrund erheblicher technischer Mängel abgebrochen werden; der Film wurde ein kommerzieller Misserfolg.

Die Tonfilm-Patente wurden an den Amerikaner William Fox verkauft, der den Tonfilm ab 1928 weltberühmt machte und der selbst nach dem Börsencrash noch bis zu seinem Lebensende gut von dem Tri-Ergon-Patent leben konnte. Im Laufe der Jahre arbeitete man auch mit anderen Verfahren wie z.B. dem Magnettonverfahren. Welchen Vorteil bot dieses Verfahren in der Filmindustrie?

Kraus: Magnettonverfahren erlauben eine bessere Tonqualität als Lichttonverfahren. Professionelle Verfahren mit SEPMAG (separated magnetic) funktionierten mit Magnetfilm, also einem perforierten Tonband von 16 mm, 17,5 mm (jeweils 2 Tonspuren) oder 35 mm Breite (bis zu 6 Tonspuren), das parallel und synchron zum Bildfilm auf einer mechanisch oder elektrisch gekoppelten Cordmaschine mit mehrspurigen Tonköpfen abgespielt wurde.
Beim Drehen des Films wurde der Original-Ton zunächst auf tragbaren Tonbandgeräten (Nagra) mit einer zusätzlichen Synchrontonspur (50 Hz) aufgenommen und später mit einer elektrisch synchronisierten Cordmaschine auf Magnetfilm aufgezeichnet. Auf Schneidetischen mit drei Tonbahnen konnten die klassischen Elemente Dialog, Geräusch (Effekte) und Musik auf Magnetfilm geschnitten werden, fertig zur Mischung im Synchronstudio mit Filmprojektor und mehreren damit gekoppelten Cordmaschinen.
Das Magnettonverfahren COMMAG (combined magnetic) war von den 1950er Jahren bis in die 1980er verbreitet; dabei wurde das schmale Magnettonband direkt auf den Film aufgeklebt und in einem Projektor mit Tonabnehmersystem abgespielt. Der Vorteil dabei war, dass man nur noch ein statt zwei Geräte brauchte und die Synchronisierung von Bild und Ton kein Problem mehr war.

Mit Dolby Stereo kam 1976 ein neues bahnbrechendes Tonsystem in die Kinos. Cinemaliebhaber konnten dieses Verfahren erstmalig in dem Film „Tommy“ der Rockgruppe The Who bewundern. Was war das Neue daran?

Kraus: Das Dolby A-Rauschunterdrückungssystem verbesserte die Tonqualität erheblich, dabei werden leise Töne vor der Beschreibung des Films in der Lautstärke angehoben und bei der Wiedergabe um das gleiche Maß wieder abgesenkt. Dadurch wird das störende Filmtonrauschen mit abgesenkt wobei sich der Signal / Rausch-Abstand deutlich verbessert.
Es war außerdem möglich, zwei Lichttonspuren auf dem Raum unterzubringen, den früher eine Spur benötigte, und in diesen beiden Spuren noch die Information für einen Surroundkanal (rückwärtige Effekte und Hallanteile) und einen Centerkanal (Dialogspur) unterzubringen. Das war der Beginn von Dolby Stereo.

Mit welchen Tonsystemen arbeiten Profis denn heute?

Kraus: Dolby SR ist ein seit 1987 gebräuchliches Rauschunterdrückungsverfahren für die Tonaufzeichnung auf analogen Lichtton auf 35-mm-Film. SR steht für spectral recording und heißt so, weil es eine an das Gehör angepasste spektrale Kompressorfunktion besitzt. Das Verfahren ist das am höchsten entwickelte Audio-Rauschverminderungsverfahren und markiert den Abschluss der Entwicklung dieser analogen Verfahren, da für digitale Systeme keine Rauschverminderung mehr benötigt wird.
Dolby Digital wurde zunächst als Mehrkanal-Tonformat für Kinofilme eingesetzt (z.B. Apocalypse Now) und 1995 als Mehrkanal-Standardton für die damals neu entwickelte DVD (Digital Versatile Disk) sowie für Fernsehsender gewählt. Es ist ein digitales 6-Kanal-System (5.1) und gemäß dem eingesetzten Audio-Kodierungsverfahren auch bekannt als AC-3.
Dolby Atmos ist ein aufwendiges Surround-Format für den Heim- und Kinobereich, das 2012 vorgestellt wurde. Das Format erweitert die rein kanalbasierten Raumklangsysteme durch mehrere Deckenlautsprecher und erlaubt theoretisch eine unbegrenzte Anzahl von Tonspuren, es ist abwärtskompatibel zu älteren Mehrkanal-Tonsystemen wie 5.1 oder 7.1.

Uwe Blass (Gespräch vom 07.01.2021)


Prof. em. Dr. -Ing. Uwe E. Kraus war bis zu seiner Emeritierung 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Nachrichtentechnik in der Fakultät Elektrotechnik, Informationstechnik und Medientechnik der Bergischen Universität. Sein Vorgänger im Amt, Herr Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. F.J. In der Smitten, hatte beim Westdeutschen Rundfunk Köln in den 1960er Jahren ein Farbfernsehversuchslabor eingerichtet und nach seinem Ruf an die Bergische Universität wesentliche Apparaturen dieses Labors mit nach Wuppertal gebracht; diese wurden für Forschung und Lehre eingesetzt.

Prof. Kraus und Prof. In der Smitten haben diese Geräte aus der Pionierzeit des Farbfernsehens in Deutschland in etwa wieder so angeordnet und betrieben wie seinerzeit im Kölner Labor.
Dieses jetzt „Historische Farbfernsehlabor an der Bergischen Universität“ bietet Einblicke in den Wandel der Fernseh-Studiotechnik in einem Zeitraum, der sich vom Nachkriegs-Neubeginn des Schwarz-Weiß Fernsehens 1952 über den Start des Farbfernsehens 1967 bis zu den Anfängen des Digital-Fernsehens Mitte der 90er Jahre erstreckt.
Das Historische Farbfernsehlabor kann auch besucht werden; Anmeldung zu Führungen unter der E-Mail: hffl@lists.uni-wuppertal.de.


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