Valerie Bruhn / Musikpädagogik
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„Die Frau ohne Schatten“ ist eine Herausforderung für jeden Künstler

Uraufführung eines intellektuellen Riesenwerkes
Am 10. Oktober 1919 wurde die Oper „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss in der Wiener Staatoper uraufgeführt. Die Textvorlage stammt von Hugo von Hofmannsthal. Ein Jahr100Wissen-Interview mit der künstlerischen Angestellten für Stimmbildung und Gesang, Valerie Bruhn.

Inspiriert von orientalischen Märchen und mit einem bewundernden Blick auf Mozarts Zauberflöte, schuf das Erfolgsduo Strauss und Hofmannsthal ein rätselhaftes, symbolgeschwängertes und klangmächtiges Riesenwerk, das immer wieder zur Deutung herausfordert. Wie empfinden Sie diese Oper?

Bruhn: Ich bin etwas zwiegespalten, wenn es um diese Oper geht. Musikalisch ist „Die Frau ohne Schatten“ ohne Frage ein Meisterwerk. Gerade diese dramaturgische Anwendung unterschiedlicher Motive und ihre polyphonische Wirkung ist sehr interessant. Wenn es aber um das Libretto geht, wird es schon etwas schwierig. Heute ist es schwer, dieses Werk auf die Bühne zu bringen. Der Vergleich mit der Zauberflöte macht das deutlich. Schikaneder, der das Libretto zur Zauberflöte geschrieben hat, hat die Bühnenwirksamkeit in den Vordergrund gestellt. Er wollte ein Volksstück aus dieser Oper machen. Hofmannsthal hatte eher so eine große intellektuelle Wirkung im Auge. Das kann verwirrend sein. Auch das Frauenbild in der „Frau ohne Schatten“ ist sehr schwierig darstellbar heute.

Ein Kritiker schrieb zur Münchner Inszenierung 2013: „Hugo von Hofmannsthals Erzählung „Die Frau ohne Schatten“ ist praktisch unlesbar. Die Geschichte wiederzugeben ist unmöglich, doch die Oper, die daraus entstand, unsterblich.“ Wie kommt er darauf?

Bruhn: Ich glaube, gerade weil diese Oper so vielschichtig und tiefgängig ist, ist sie für Musik- und Opernliebhaber sehr interessant. Man kann diese Geschichte durchleben, und diese Möglichkeit gibt es nicht so oft.

Richard Strauss nannte diese Oper sein „Schmerzenskind“. Warum?

Bruhn: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Diese Oper ist vielleicht die ehrgeizigste Zusammenarbeit zwischen Strauss und Hofmannsthal. Sie ist am Ende des ersten Weltkrieges komponiert worden, und in dieser Zeit hatte Richard Strauss auch sehr viele familiäre Probleme. Die Veränderungen, die durch den Krieg in ganz Europa entstanden sind, haben auch die Theater sehr beeinflusst. Und die Vorstellungen und Hoffnungen, die die beiden mit diesem Werk hatten, konnten nicht vollständig realisiert werden.

Ein Kritiker schrieb, dass die "Frau ohne Schatten" heutzutage nur noch genießbar sei, wenn sie zupackend interpretiert wird, sei es als Satire, als Tragödie oder als Farce. Stimmt das?

Bruhn: Ja, da stimme ich zu. Das liegt hauptsächlich an der Art und Weise, wie Frauen in dieser Oper dargestellt werden. Wenn Theater heute eine Oper aufführen wollen, indem die Menschlichkeit oder sogar die Lebensberechtigung von Frauen an ihrer Opferbereitschaft oder Fähigkeit Kinder zu gebären hängt, muss man dramaturgisch sehr kreativ sein. Allerdings ist diese Oper als Märchen konzipiert und da öffnet sich für Regisseure die Tür wieder mit der ganzen Symbolik für sehr viel dramaturgische Kreativität.
Strauss selber schrieb nach der Premiere in Wien und Dresden: „Es war ein schwerer Fehler, dieses schwer zu besetzende und szenisch so anspruchsvolle Werk unmittelbar nach dem Krieg mittleren und kleineren Theatern anzuvertrauen. ... und gerade künstlerische Menschen halten es für mein bedeutendstes Werk.“

Die Hamburger Inszenierung wurde 2017 verrissen, die Linzer Aufführung im gleichen Jahr hochgelobt. Was macht den Reiz dieses Werkes für Opernregisseure aus?

Bruhn: Das Werk ist eine Gesellschaftsstudie von Beziehungen zwischen Männern und Frauen und es löst viele Diskussionen aus. Die Uraufführung kam gerade in der Zeit, als die Suffragetten Bewegung relativ neu war. Man kann diese gesellschaftlichen Veränderungen heute sehr gut hervorheben, und der symbolische Reichtum dieses Werkes lässt viele Interpretationsmöglichkeiten zu.

In der letzten Spielzeit haben die Wuppertaler Bühnen bewiesen, dass sie auch sogar ehemalige Skandalstücke wie „Die Hochzeit des Figaro“ auf komplett nackter Bühne derart klar, treffsicher und präzise inszenieren können. Warum hat man die „Frau ohne Schatten“ hier noch nicht gesehen?

Bruhn: Die Besetzung ist eine große Herausforderung für jedes Haus. Man braucht fünf Hauptpartien, die sich sowohl stimmlich, musikalisch und schauspielerisch auf dem höchsten Niveau bewegen. Und selbst, wenn diese Sängerinnen und Sänger zur Verfügung stehen, brauchen sie viel Zeit, um sich auf diese Rollen vorzubereiten. Die große Lotte Lehmann z.B. hat die Färberin bei der Uraufführung gesungen. Sie war vorher jeden Tag bei Richard Strauss zu Hause, und sie haben diese Rolle stundenlang einstudiert. Die Partien in dieser Oper sind eine Herausforderung für jeden Künstler. Dann sind auch die Kosten für Bühnenbild usw. nicht zu unterschätzen, und es handelt sich bei der „Frau ohne Schatten“ nicht um eine Volksoper, d.h. sie ist kein Publikumsmagnet. Das ist für die Opernhäuser immer ein finanzielles Risiko. Ich bin immer froh, wenn Opernhäuser gewisse Risiken eingehen und ich fände es ein schönes Experiment für die Wuppertaler Bühnen.

Frau Bruhn, Sie sind an der Bergischen Universität in der Musikpädagogik für Stimmbildung und Gesang zuständig und arbeiten mit Ihren Studierenden an einem spannenden Musicalprojekt. Worum geht es da?

Bruhn: Es handelt sich um eine Revue mit dem Thema `Frauen in Gefangenschaft´. Die Bewerbungen haben wir bereits hinter uns und ich bin begeistert, wie viele interessierte, talentierte Studierende wir hier haben, die mitmachen wollen. Ab nächstem Semester fangen die Proben an, und ich freue mich drauf.

Uwe Blass (Gespräch vom 26.07.2019)
 

Valerie Bruhn studierte Musical am Cincinnati College-Conservatory of Music. Danach absolvierte sie die künstlerische Abschlussprüfung im Opernfach an der Folkwang Hochschule in Essen. Seitdem ist sie in unterschiedlichen Genres (Oper, Oratorium und Musical) auf diversen Bühnen zu sehen. Seit 2019 arbeitet sie als künstlerische Angestellte für Stimmbildung und Gesang an der Bergischen Universität.

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