Internationale Fachtagung
Was wir uns erzählen – wie Narrative unsere Wirklichkeit prägen und wann sie an ihre Grenzen stoßen

Überall Geschichten! Damit wir uns nichts Falsches erzählen lassen, hilft es zu wissen, wie Erzählungen funktionieren und wie sie eingesetzt werden. // Foto Colourbox
Denn das Erzählen – nicht nur eine zentrale Technik der Literatur – ist in unserer Gesellschaft immer schon ein viel genutztes Mittel gewesen, um reale Ereignisse darzustellen und ihre Bedeutung zu kommunizieren. Kollektive Erzählungen versprechen Sinnstiftung und Orientierung. Doch was passiert, wenn weniger rational reflektiert oder argumentiert und alles zur Erzählung wird? Wenn Fakten emotional aufgeladen, komplexe Zusammenhänge vereinfacht und Realität in eine spannende Storyline gepresst wird? Die Konferenz an der Bergischen Universität beleuchtet kritisch, wo Narrative an ihre Grenzen stoßen – und wann sie gefährlich werden.
Weiterführende Informationen zur Tagung
Die ENN8 Conference „Limits of Narratives” ist eine Fachtagung und findet komplett auf Englisch statt. Sie richtet sich an alle, die in einem weitgefassten Kontext zu Narrativen forschen. Die Anmeldung zur Teilnahme ist noch geöffnet. Alle Informationen zur Tagung stehen auf der Webseite enn8.uni-wuppertal.de zur Verfügung.
Ein bekanntes Beispiel für ein Narrativ ist der amerikanische Traum, demzufolge es jede Person vom Tellerwaschen bis zur eigenen Million schaffen kann, oder – modern interpretiert – von der Garage zum eigenen Tech-Start-up. Bei vielen prägt dieses Narrativ die Vorstellungen von Amerika als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. „Narrative sind machtvoll – sie können verbinden, erklären, manipulieren oder verschleiern“, sagt Organisator Prof. Dr. Matías Martínez vom Zentrum für Erzählforschung der Bergischen Universität. „Gerade in Zeiten von Fake News, politischem Storytelling und KI-generierten Texten ist es zentral, die Mechanismen und Wirkungen von Erzählungen zu verstehen“, ergänzt Co-Organisator Prof. Dr. Michael Scheffel.
Im Fokus der Tagung stehen Fragen wie: Welche gesellschaftlichen, kulturellen oder medialen Entwicklungen haben zur derzeitigen Erzähl-Inflation geführt? Wie verändert Künstliche Intelligenz das Erzählen? Wo sind Narrative als angemessene Erkenntnisform überfordert – etwa in Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik? Was unterscheidet legitime Erzählstrategien von problematischer Manipulation?
Ein besonderes Augenmerk der Konferenz liegt auf der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Ein interdisziplinäres Seminar für Doktorand*innen begleitet die Tagung und bringt junge Forschende aus ganz Europa zusammen.
Wuppertaler Expertise
Die Expertise der Bergischen Universität im Forschungsfeld des literarischen und nicht-literarischen Erzählens ist europaweit anerkannt. Seit der Gründung des Zentrums für Erzählforschung im Jahr 2007 wird hier disziplinübergreifend auch zu „Wirklichkeitserzählungen“ gearbeitet – also zu Formen des Erzählens, die nicht der Fiktion, sondern der Deutung realer Lebenswelten dienen.
Dazu gehören neben großen europaweiten Verbundforschungsprojekten auch praxisnahe Projekte in der Region, etwa in Zusammenarbeit mit Unternehmen, die Organisation von öffentlichen Veranstaltungen wie im Rahmen der Poetikdozentur für faktuales Erzählen, bei der bekannte Autor*innen für Lesungen und Diskussionen nach Wuppertal kommen, und die Herausgabe des digitalen Journals DIEGESIS, das zweimal im Jahr mit Beiträgen zum Erzählen in allen Medien und Kontexten erscheint. Jede Ausgabe setzt außerdem einen thematischen Schwerpunkt.
„Wer sich mit Erzählungen auskennt, wird nicht nur gute Bücher besser schätzen, sondern auch seine Lebenswelt besser beherrschen“, betont Michael Scheffel. Matías Martínez nennt das Faktualitätskompetenz: „Wenn ein Text oder ein mündlicher Bericht den Anspruch erheben, die reale Welt zu beschreiben, dann erzählen sie im Gegensatz zum Fiktionalen von unserer Wirklichkeit und nicht von einer ausgedachten Welt; inwieweit sie das auch wahrheitsgemäß tun, kann ich besser einschätzen, wenn ich die Verfahren erkenne, mit denen erzählt wird.“
Am Zentrum für Erzählforschung der Bergischen Universität tragen die Forschenden aus unterschiedlichen Perspektiven dazu bei, dieses Wissen zu generieren und zugänglich zu machen. Im Rahmen der Fachtagung tauschen sie sich mit Kolleg*innen aus ganz Europa aus. Die Konferenzbeiträge werden im Nachgang veröffentlicht.