Sportsoziologie
Rassismus ist Alltag im Vereinssport in Deutschland
Bunte Sitzreihen in einer Sportarena – ein Symbol für Vielfalt, die im Vereinssport noch nicht überall gelebt wird. // Foto aitorserra - stock.adobe.com
„Rassismus im Sport wird häufig als Einzelfall oder Fehlverhalten Einzelner abgetan“, erklärt Studienleiterin Prof. Dr. Tina Nobis. „Unsere Studienergebnisse verdeutlichen jedoch, dass Rassismus im Sport alltäglich und omnipräsent ist. Rassismus zeigt sich dabei auch subtil und strukturell.“
In einer qualitativen Interviewstudie berichten zehn von elf Athlet*innen afrikanischer Herkunft von vielschichtigen Formen von Rassismus unter anderem von rassistischen Witzen in der Umkleidekabine, die Erfahrung zu Anderen gemacht zu werden, der Absprache von Zugehörigkeit oder mangelnder Repräsentation in primär weißen Sportstrukturen.
Weiße Privilegien und fehlende Wahrnehmung
Die interviewten Athlet*innen schildern, dass, ihnen nicht geglaubt wird bei der Meldung von Rassismus und das Rassismus heruntergespielt oder geleugnet wird. „Rassismus führt so meist nur zu einem Einschnitt in den Sportalltag von Betroffenen“, so Mitautorin Alessa Heimburger. Athlet*innen berichten, dass über Rassismus im Vereinssport eher geschwiegen als gesprochen wird. Hieran vergegenständlicht sich nach dem Forschungsteam auch ein weißes Privileg - nämlich das, Rassismus ignorieren zu können.
Neben der qualitativen Interviewstudie führte das Forschungsteam auch eine quantitative Befragung von über 3.000 Vereinsmitgliedern, die mehrheitlich nicht von Rassismus betroffen sind, durch. Die Ergebnisse der Online-Befragung verdeutlichen, dass insbesondere subtilere und strukturelle Formen von Rassismus, wie beispielsweise das ständige Hinterfragen der Herkunft oder eine fehlende Diversität in Vorständen von den weißen Sportvereinsmitgliedern mehrheitlich nicht als Rassismus erkannt werden.
Rassismus und Rassismuskritik als nicht relevant eingestuft
In einer Teilbefragung von 635 Sportvereinsmitgliedern, die eine ehren- oder hauptamtliche Tätigkeit ausüben, wurde zudem deutlich, dass die Themen Rassismus und Rassismuskritik in Sportvereinen eine untergeordnete Rolle einnehmen und zum Großteil auch als nicht relevant eingestuft werden. Knapp die Hälfte der Befragten gaben an, dass über die Gewährleistung von Gleichberechtigung, den Abbau von Diskriminierung und die Möglichkeiten antirassistischer Arbeit in ihren Vereinen nicht diskutiert wird und diese Diskussionen auch nicht nötig seien.
„Die Ergebnisse zeigen, dass Weißsein als gesellschaftliche Norm im Sport verankert ist“, sagt Mitautorin Lara Kronenbitter. „Das Privileg, sich als weiße Person vermeintlich nicht mit Rassismus befassen zu müssen, ist Teil des Problems.“ Dennoch zeigen die Ergebnisse der quantitativen Befragung auch, dass es Ansatzpunkte für Rassismuskritik im Vereinssport gibt und einige Sportvereine bereits rassismuskritische Maßnahmen umsetzen wie etwa, Projekte gegen Diskriminierung und Rassismus oder dass der Schutz vor Diskriminierung in der Vereinssatzung festgeschrieben ist. Es fehlen jedoch flächendeckende Strukturen.
Forderung nach strukturellen Veränderungen
Das Forschungsteam betont, dass Rassismuskritik ein Prozess sei, für den es einen langen Atem und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus und Rassismuskritik braucht. Rassismuskritik erfordert dabei mehr als symbolische Aktionen oder Social-Media-Statements. Nötig seien langfristige Veränderungen in den Vereinsstrukturen:
- Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen und klare Sanktionen,
- rassismuskritische Schulungen für Trainer*innen und Funktionär*innen,
- mehr Repräsentanz von BIPoC-Personen (Black, Indigenous, People of Color) in Führungspositionen
- sowie eine bewusste Auseinandersetzung mit Weißsein und weißen Privilegien.
„Solange Rassismus nicht als Alltagsstruktur erkannt wird, bleibt echte Veränderung aus“, so Mitautorin Dr. Priscillia Musoh Manjoh. „Rassismuskritik heißt, eigene Privilegien zu reflektieren – und Macht abzugeben.“
Über die Studie
Die Studie ist im Rahmen des Forschungsprojektes „Rassismus und Antirassismus im vereinsorganisierten Sport“ entstanden, welches unter der Leitung von Prof. Dr. Tina Nobis am Arbeitsbereich Sportsoziologie der Bergischen Universität Wuppertal angesiedelt war. Dieses unabhängige Forschungsprojekt ist Teil des Projektes „(Anti-) Rassismus im organisierten Sport“, das von der Deutschen Sportjugend e.V. (dsj) in Kooperation mit dem Deutschen Olympischen Sportbund e.V. (DOSB) durchgeführt und von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und der Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus gefördert wurde.
Der vollständige Bericht ist auf der Webseite des Arbeitsbereichs abrufbar:
Abschlussbericht „Rassismus und Rassismuskritik im Vereinssport“