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Bildung

Neue Studie: Klassenniveau beeinflusst Bildungserwartungen in Familien mit und ohne Einwanderungsgeschichte

13.11.2025|11:00 Uhr

Nach Deutschland eingewanderte Eltern erwarten oft höhere schulische Leistungen und Abschlüsse von ihren Kindern als Eltern ohne Einwanderungsgeschichte – das ist gut belegt. Eine Studie der Bergischen Universität ging nun möglichen Erklärungen auf den Grund und rückte dafür den Leistungsdurchschnitt der Schulklasse in den Fokus. Die Auswertung zeigt, dass Kinder aus Einwandererfamilien, eher Klassen mit geringen Leistungen besuchen und dass das Klassenniveau mit höheren Bildungserwartungen der Eltern zusammenhängt. Die Studie liefert Hinweise darauf, dass sich die Klassenzusammensetzung indirekt auf Bildungsambitionen und Chancengleichheit auswirken kann.

Symbolbild Klassenzimmer // Foto Colourbox

In zahlreichen Forschungsarbeiten wurde festgestellt, dass Eltern mit Einwanderungsgeschichte höhere Erwartungen an die Bildungsziele ihrer Kinder haben als Eltern ohne. Ein weit verbreiteter Erklärungsansatz ist, dass unter anderem Hoffnungen auf wirtschaftliche Verbesserung durch Bildung dahinterstecken. Die neue Studie unter der Leitung des Soziologen Prof. Dr. Reinhard Schunck von der Bergischen Universität Wuppertal ergänzt die Betrachtung um den sogenannten Referenzgruppeneffekt – in der Bildungsforschung auch bekannt als „Big-Fish-Little-Pond-Effekt“. Der beschreibt, wie Schüler*innen sich im Vergleich zu ihren Klassenkamerad*innen selbst einschätzen.

Reinhard Schunck erklärt das so: „Ein Kind, das an einer Schule im Vergleich zu seinen Mitschüler*innen durchweg bessere Noten erhält, fühlt sich – bildlich gesprochen – als großer Fisch im kleinen Teich. Wenn das Kind an eine Schule wechselt, an der die anderen Kinder besser abschneiden, bleibt die eigene Leistung zwar unverändert, das Kind liegt nun aber im Mittelfeld der Klasse. Sein Selbstkonzept als ,großer Fisch‘ schwindet und es fühlt sich weniger gut.“ Andere Untersuchungen ergaben außerdem, dass solche gesellschaftlichen Vergleichsprozesse nicht nur für die Bewertung der eigenen Leistungen gelten, sondern auch für die Bewertung anderer relevant ist, zum Beispiel wenn Lehrkräfte ihre Schüler*innen bewerten.

In ihrer Studie, die das Fachmagazin European Societies veröffentlichte, wollten Prof. Reinhard Schunck, Dr. Nora Huth-Stöckle und Dr. Eva Zschirnt nun wissen, ob dieser Effekt auch bei Eltern und ihren Erwartungen an ihre Kinder wirkt und ob er zumindest teilweise erklären kann, warum Eltern mit Einwanderungsgeschichte oft höhere Bildungserwartungen haben. Für ihre Analyse griffen die Forschenden auf eine repräsentative Stichprobe von Viertklässlern und ihren Eltern in Deutschland zurück. Darin enthalten sind umfangreiche Informationen u. a. über die Schüler*innen und ihre Leistungen, die Klassenstruktur, den Hintergrund der Eltern sowie darüber, welchen höchsten Schulabschluss diese von ihrem Kind erwarten.

Zentrale Ergebnisse

  • Die Erwartungen aller Eltern sind niedriger, wenn ihr Kind eine leistungsstarke Klasse besucht und höher, wenn es in einer leistungsschwachen Klasse ist, und zwar unabhängig von den Leistungen des Kindes.
  • Kinder aus Einwandererfamilien sind häufiger in Klassen mit niedrigerem Leistungsniveau.
  • In diesen Klassen setzen Eltern mit Einwanderungsgeschichte tendenziell höhere Bildungsziele und erwarten eher, dass ihr Kind Abitur macht, als nicht eingewanderte Eltern.
  • Die Resultate sprechen dafür, dass der Referenzgruppeneffekt auch im Elternurteil wirksam wird: Wenn das Kind im Klassenniveau relativ gut dasteht, steigen die Erwartungen aller Eltern.
  • Die Ergebnisse zeigen allerdings auch, dass die höheren Bildungserwartungen von Eltern mit Einwanderungsgeschichte nur teilweise mit dem Effekt erklärt werden können. Eltern mit Einwanderungsgeschichte haben insgesamt höhere Bildungserwartungen an ihre Kinder als Eltern ohne Einwanderungsgeschichte.

„Unsere Studie zeigt, dass Erwartungen nicht abstrakt entstehen, sondern im Kontext von Vergleichsgruppen – hier der Klasse – formuliert werden. Das bedeutet: Die Struktur der Schulklassen selbst beeinflusst, wie hoch Eltern Ziele für ihre Kinder setzen“, so Prof. Schunck.

Die Befunde helfen, zu verstehen, wie sich soziale Ungleichheiten fortsetzen oder verändern: Bildungserwartungen der Eltern haben Einfluss auf Bildungsentscheidungen der Kinder, zum Beispiel auf die Wahl von Schultypen oder die Intensität des Lernens. Weitere Forschung sei nötig, erklären die Autor*innen, um zu prüfen, wie solche Erwartungen sich langfristig auf Studien- und Berufsentscheidungen auswirken. „Hohe Erwartungen können Druck und Chancen zugleich bedeuten“, betont Schunck. Die Ergebnisse seien damit ein Beitrag zur Diskussion über Leistungsheterogenität und die Zusammensetzung von Klassen sowie die Förderung von Bildungskarrieren.

Zum Artikel

Nora Huth-Stöckle, Reinhard Schunck, Eva Zschirnt: Reference group effects and parental educational expectations: can big-fish-little-pond effects explain immigrant parents’ high expectations? https://doi.org/10.1162/euso_a_00014