Ein Werkzeugkasten für die Governance

22.03.2023|08:45 Uhr

An der Bergischen Universität diskutierten Expert*innen den konstruktiven Umgang mit Konflikten in Wissenschaftsorganisationen

Im Rahmen der Tagung diskutierten Expert*innen an der Bergischen Universität den konstruktiven Umgang mit Konflikten in Wissenschaftsorganisationen. // Fotos (2) Friederike von Heyden

Zwei Tage, die es in sich hatten: Im Mittelpunkt der bundesweiten Tagung „Governance in Wissenschaftsorganisationen – Konstruktiver Umgang mit Konflikten und Vorwürfen“, die am vergangenen Donnerstag und Freitag an der Bergischen Universität Wuppertal stattgefunden hat, stand das Ziel, den aktuellen Diskussionsstand zum Thema und verfügbare Lösungsansätze zusammenzuführen. Es wurde ein intensiver Austausch darüber, wie es noch besser gelingen kann, durch die Ergänzung und Fortentwicklung bereits bestehender Strukturen Transparenz und Fairness gegenüber allen beteiligten Parteien in Wissenschaftsorganisationen zu gewährleisten.

Rund 120 Teilnehmende – Governance-Fachleute, Verantwortliche in Führungspositionen, Wissen­schaftler*innen und Außenstehende – waren nach Wuppertal gekommen. Es galt vor allem, an den im Rahmen einer 2020 an der Universität Passau stattgefundenen Tagung „Absender unbekannt. Wis­senschaftliche Verfahren im Umgang mit anonymen Vorwürfen“ begonnenen Diskurs über Fehlver­halten in der Wissenschaft anzuknüpfen. Dazu eingeladen hatte die Bergische Universität gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF), der Univer­sität Passau, der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und dem Deutschen Hochschulverband (DHV). Die Veranstaltenden wollten vor allem der Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der letzten drei Jahre Raum geben und um konkrete, aktualisierte Lösungsvorschläge bereichern.

In insgesamt fünf Sessions ging es also darum, Herausforderungen und Probleme kennenzulernen sowie darauf aufbauend Lösungsansätze und notwendige Veränderungen in den Fokus zu rücken. Am Ende der beiden Veranstaltungstage fasste Gastgeberin Prof. Dr. Birgitta Wolff als Rektorin der Bergischen Universität zusammen: „Wir haben viele gute Ideen gehört, wie wir das Thema Gover­nance in Wissenschaftsorganisationen weiter angehen müssen. Dabei gab es hilfreiche Learnings: Das eine Wissenschaftssystem gibt es nicht – wir müssen unterschiedliche Organisationen mit unter­schiedlichen Problemen betrachten und genau definieren, für welche Probleme wir Lösungen suchen, damit wir uns nicht verzetteln. Wichtig ist, dass Aktivismus für die Sache immer Hand in Hand mit Fachlichkeit geht und wir Veränderungen auf Basis empirischer Daten anstreben.“

Vorhandene Lösungswege zusammenführen

In ihrer Begrüßung tags zuvor umrissen DHV-Präsident Prof. Dr. Bernhard Kempen und Prof. Dr. Oliver Günther, HRK-Vizepräsident für Governance, Lehre und Studium, die Notwendigkeit des gemeinsamen Austauschs. Prof. Kempen: „Wo viele Menschen zusammenarbeiten, entstehen Prob­leme – im Wissenschaftssystem sind mir das noch zu viele Probleme. Die Ursachen dafür liegen meiner Meinung nach in der Art der Zusammenarbeit. Sie ist sehr eng – somit zwar einerseits sehr fruchtbar, andererseits aber auch gefahrenträchtig. Noch dazu ist sie geprägt von großen Generati­onsunterschieden und starken Abhängigkeitsverhältnissen. Die gilt es aufzulösen, mit Maß und nach­haltig. Sie ganz aufzulösen wird wahrscheinlich schwierig.“ Und Prof. Günther machte deutlich: „Machtmissbrauch gab es schon immer, aber die Wahrnehmung hat sich geändert und wir wissen um den Schaden. Wir müssen dafür sorgen, dass Vorfälle von Fehlverhalten, ganz gleich welcher Art, seltener werden und wir mit Problemen bewusster umgehen.“

 

Prof. Dr. Carola Jungwirth, Lehrstuhlinhaberin für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Gover­nance an der Universität Passau, sowie Prof. Dr. Isabell Welpe vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung (IHF) schufen in ihrem Einführungsvortrag zunächst eine Arbeitsgrundlage für die weitere Tagung und definierten den Begriff „Governance“ als die Prozesse, Regeln und Verfahren, die eine Wissenschaftsorganisation leiten und sicherstellen, dass das Organi­sationsziel effektiv und transparent erreicht wird. Zudem thematisierten sie die aktuellen Herausforde­rungen, die bei der Etablierung und Umsetzung entsprechender Compliance-Standards und Leitlinien in Wissenschaftsorganisationen auftreten. Einmal mehr wurde klar, wie komplex, facettenreich und sensibel das Thema „Governance und Konflikte in der Wissenschaft“ ist. – Trotz der Tatsache, dass zahlreiche Fachverbände, viele einzelne Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtungen über die letzten Jahre hinweg längst reagiert haben und individuellem Fehlverhalten inzwischen mit strukturellen Rahmenkonzepten zuvorkommen und begegnen. „Das Sicherstellen funktionierender Governance in Wissenschaftsorganisationen bleibt auf absehbare Zeit eine wichtige Aufgabe der Hochschul- und Forschungspolitik sowie der Wissenschaft selber“, meint Isabell Welpe und Carola Jungwirth ergänzt: „Die beschriebenen Herausforderungen lösen sich nicht von selbst. Es ist eine per­manente Leitungsaufgabe in Wissenschaftsorganisationen, die Leitplanken für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten und Vorwürfen zu setzen.“

Über die Problemanalyse hinaus

Es folgten die Beiträge zahlreicher, hochkarätiger Referent*innen, die sich dem Thema von unter­schiedlichen Seiten näherten und dazu beitrugen, es über die Problemanalyse hinaus auf ein neues Level zu heben. So stand der erste Tag ganz im Zeichen der Aufgabe, die Komplexität im Umgang mit Konflikten in Wissenschaftsorganisationen zu verstehen. Das geschah vor allem mithilfe eindrück­lich vorgetragener Erfahrungsberichte, die – das wurde ebenfalls deutlich – keine Einzelfälle sind. Die Themenpalette der Vorfälle und somit von Fehlverhalten ist breit: von institutioneller Diskriminierung weiblicher Nachwuchs- und Führungskräfte über Mobbing bis hin zu Machtmissbrauch mit Erniedri­gung und Ausbeutung von Mitarbeitenden.

Fortan war „Ohnmachtsbewältigungskompetenz“ gefordert. Zu der waren die Gäste an der Bergi­schen Universität bereit: So schwang bereits am ersten Tag der unbedingte Wille mit, gemeinsam Lösungen zu finden. Die Forderungen nach unabhängigen Kontrollinstanzen, transparenten Beschwerde-Strukturen und Führungsverantwortung wurden laut, ebenso wie nach der Auflösung ein­seitiger Machtakkumulation in Betreuungs- und Beschäftigungsverhältnissen. Häufig, so der Tenor, scheitere eine Aufklärung nicht daran, dass Ombudspersonen und Meldestrukturen gänzlich fehlten, vielmehr mangele es an der Durchsetzungsfähigkeit selbst auferlegter Regeln. Ohne einen Kultur- und Wertewandel, die nötige Kulturarbeit in den Organisationen, würden alle Bemühungen verpuffen – da waren sich die Teilnehmenden besonders einig.

Anstoß zum Weiterdenken

Gelingen, das war schließlich einer der zentralen Diskussionspunkte, die auch am zweiten Tag vertieft wurden, könne dies nur, wenn dieser Wandel im Verständnis von Führungsstrukturen und -verhalten stattfinde. Er müsse „von oben“ vorgelebt und in der gesamten Organisation Rückhalt finden – weg von wechselseitigen Abhängigkeiten, internen Verflechtungen sowie fehlender Offenheit hin zu „null Toleranz“ und Vertrauen.

An vielen Stellen wurden Vorbilder gesucht, und nicht selten in der Wirtschaft gefunden, insbesondere dort, wo es um Fragen der Haftung, Sanktionierung und Gratifikationen zur tatsächlichen Durchset­zung entsprechender Governance- und Compliance-Regeln ging. Hierbei spiele auch die Politik eine zentrale Rolle. Der Staat müsse entsprechende Prozesse anstoßen und für Mechanismen sorgen, mit denen sich ihre Durchsetzung auch konsequent verfolgen lasse.

Die Tagung schloss mit dem Anspruch, ein Anstoß zum Weiterdenken zu sein und dadurch Verände­rungen voranzutreiben. Birgitta Wolff: „Wenn es uns gelingt, einen Werkzeugkasten für Governance zusammenzustellen, können wir der Heterogenität und Komplexität der Konfliktpotenziale im Wissen­schaftssystem begegnen.“ Governance-Forschung, da war sie sich mit ihren Co-Veranstalterinnen Carola Jungwirth und Isabell Welpe einig, müsse dafür die Grundlagen schaffen. Es gelte nicht den einen Masterplan zu entwickeln, sondern – beispielsweise mithilfe kontrollierter Experimente in Real­laboren – Erkenntnisgewinn zu generieren und diesen auch zu nutzen.

Weiterführende Informationen auf der Tagungswebseite:

https://www.uni-wuppertal.de/de/universitaet/organisation/governance-in-wissenschaftsorganisatio­nen-wissenschaftliche-tagung-an-der-bergischen-universitaet/

Weitere Infos über #UniWuppertal: