Die Existenz von Himmelskörpern außerhalb der Milchstraße
Prof. Dr. Karl-Heinz Kampert / Astrophysik
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Die Entdeckung einer neuen Galaxie

Der Astrophysiker Karl-Heinz Kampert über die Berechnung von Edwin Powell Hubble zur Existenz von Himmelskörpern außerhalb der Milchstraße

Edwin Powell Hubble revolutionierte 1923 die Welt mit einer bahnbrechenden Berechnung. Wer ist der Mann?

Kampert: Hubble war eine außergewöhnliche Persönlichkeit und begründete das Feld der extragalaktischen Astronomie und beobachtenden Kosmologie. Geboren 1889 in Marshfield in Missouri als Sohn eines erfolgreichen Versicherungskaufmanns, studierte er zunächst Mathematik und Astronomie an der Universität Chicago und schloss sein Studium mit dem Bachelor of Science ab. Auf Wunsch seines im Sterben liegenden Vaters nahm er anschließend ein Studium der Rechtswissenschaften in Oxford (UK) auf und schloss es bereits drei Jahre später mit dem Master ab. Nach dem Tod seines Vaters setzte er sein Astronomiestudium 1914 in Chicago fort und promovierte dort 1917 mit dem Thema „Fotographische Untersuchung schwacher Nebel“. Im gleichen Jahr hatte Deutschland den USA den Krieg erklärt, was Hubble veranlasste, seine Dissertation vorzeitig zum Abschluss zu bringen, um in den Militärdienst zu gehen. Nach Ende des Krieges folgte ein weiteres Jahr in Cambridge (UK) und im Alter von 29 Jahren nahm er schließlich eine Stelle am Mount Wilson Observatorium in der Nähe von Pasadena an. Zu diesem Zeitpunkt wurde dort das mit 2,5 m Durchmesser weltweit größte Teleskop in Betrieb genommen, mit dem Hubble schon bald die Vorstellung über die Ausdehnung des Universums erschüttern sollte. Dieser ersten bahnbrechenden Entdeckung sollten weitere folgen. Bis zu seinem Tod im Alter von nur 63 Jahren blieb er dem Mount Wilson Observatorium treu.

Trotz seiner bahnbrechenden Arbeiten erhielt Hubble keinen Nobelpreis, da zu seiner Zeit die Astronomie im Nobelpreiskomitee keine Berücksichtig fand. Während seiner fortgeschrittenen Karriere setze er sich sehr dafür ein, die Astronomie bei der Nobelpreisvergabe als Teildisziplin der Physik zu berücksichtigen. Dieses Engagement wurde aber erst kurz nach seinem Tod von Erfolg gekrönt. Hubbles Arbeiten wurden posthum als nobelpreiswürdig anerkannt.

Neben seiner wissenschaftlichen Begabung galt Hubble auch in vielen Sportarten als begabter Athlet und führte das Basketballteam der Universität Chicago zu deren ersten nationalen Titel. Auch wird ihm nachgesagt, ein ausgezeichneter Boxer gewesen zu sein. Dafür lassen sich jedoch keine Belege finden.

Das Universum mit 100.000 Lichtjahren ist die Milchstraße. Aber dahinter ist Schluss, dachte man, bis Edwin Powell Hubble am 7. Dezember 1923 bewies, dass der Andromedanebel außerhalb der Milchstraße liegt. Wie gelang ihm das?

Kampert: Wie so oft in der Wissenschaft, handelte es sich um eine Zufallsbeobachtung mit weitreichenden Konsequenzen: Hubble hatte so genannte Nova-Sterne untersucht, die – wie wir heute wissen – aufgrund thermonuklearer Explosionen plötzlich sehr viel heller leuchten und dann wieder abklingen. Durch wiederholte Beobachtungen fiel ihm auf, dass sich die Helligkeit eines seiner vermuteten Nova-Sterne im Rhythmus von 31 Tagen periodisch änderte und es sich somit um einen Stern vom Cepheiden-Typ handelte. Sterne dieser Art waren bereits 10 Jahre zuvor von der Astronomin Henrietta Leavitt entdeckt worden und sie eigneten sich aufgrund eines festen Zusammenhangs zwischen Periode und Leuchtkraft zur Entfernungsmessung im Weltall. Durch Anwendung dieser von Leavitt gefundenen Beziehung konnte Hubble berechnen, dass der Stern fast eine Million Lichtjahre entfernt sein musste, d.h. 10-mal weiter entfernt war, als die Ausdehnung unserer Milchstraße. Da der Stern sich in Richtung des Andromeda-Nebels befand, konnte Hubble schlussfolgern, dass es sich bei diesem Nebel nicht um einen Nebel am Rand der Milchstraße, sondern vielmehr um eine eigenständige Galaxie handelte.

Was ist der Andromedanebel denn genau?

Kampert: Die Andromedagalaxie, veraltet auch als Andromedanebel bezeichnet, ist die nächstgelegene Spiralgalaxie und gleichzeitig das entfernteste Objekt, das unter guten Bedingungen mit bloßem Auge als ausgedehntes elliptisches Objekt erkannt werden kann. Mit einem guten Fernglas kann man sogar die Strukturen wahrnehmen, was mich persönlich als Zufallsbeobachtung in meiner Studienzeit während einer Nacht auf einer Berghütte sehr beeindruckt hat. Die Andromedagalaxie beheimatet ähnlich viele Sterne wie unsere Milchstraße und gemeinsam bilden beide das Massezentrum der lokalen Gruppe, einer Ansammlung von etwa 70 Zwerggalaxien innerhalb eines Durchmessers von ca. 5-10 Millionen Lichtjahren. Die Milchstraße und Andromedagalaxie befinden sich aufgrund ihrer Massenanziehung auf einem Kollisionskurs. Dieses nachhaltige Ereignis wird jedoch erst in einigen Milliarden Jahren erwartet und beide Galaxien werden hierbei zu einer elliptischen Galaxie verschmelzen.

Edwin Hubble und die Andromedagalaxie, © Giuseppe Donatiello /
Foto: gemeinfrei, historisch

Damit führt Hubble zum ersten Mal vor, dass das Universum nicht nur aus unserer Galaxis besteht, sondern…?

Kampert: Die Entdeckung der Andromedagalaxie als Nachbargalaxie der Milchstraße vergrößerte nicht nur die Ausdehnung des seinerzeit bekannten Universums um ein Vielfaches, sondern degradierte die Milchstraße sprichwörtlich über Nacht zu einer gewöhnlichen Galaxie unter mehreren 100 Milliarden anderer Galaxien im Universum. Im Laufe der Geschichte war dies ein weiterer Schritt in die Bescheidenheit: zunächst galt die Erde als das Zentrum des Universums, dann die Sonne, danach die Milchstraße, und mit der Entdeckung Hubbles musste sich nun schließlich auch diese in die Mittelmäßigkeit des Universums verabschieden. Die Vermutung, dass die spiralförmigen Nebel am Nachthimmel „Welteninseln“ wie unsere Galaxis sein könnten, hatte der Philosoph Immanuel Kant bereits im Jahr 1755 anonym publiziert. Mit der Beobachtung Hubbles war es schließlich bewiesen.

Der Prozess der Akzeptanz dieser bahnbrechenden Ergebnisse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft sollte sich jedoch über Jahre hinziehen: Hubble publizierte seine Ergebnisse zunächst im November 1924 in der New York Times, berichte vor der amerikanischen astronomischen Gesellschaft erstmals darüber im Januar 1925, und bis zur Publikation in einem wissenschaftlichen Journal sollten weitere 4 Jahre vergehen.

Sechs Jahre später errechnet er zudem 1929, dass und wie schnell sich das Weltall ausdehnt. Der Kosmos muss also früher näher beisammen gewesen sein. Was passiert da bis heute?

Kampert: Während dieser 6 Jahre bis zur endgültigen Publikation seiner Ergebnisse bestimmte Hubble in zahllosen weiteren Beobachtungsnächten unter Verwendung verschiedener Methoden die Entfernungen zu weiteren 24 extragalaktischen Nebeln. Neben deren Entfernungen lagen für diese Nebel auch spektroskopische Daten, d.h. atomare Absorptionsspektren vor. Aus der beobachteten Verschiebung der charakteristischen Absorptionslinien relativ zu Labormessungen, ließ sich in Analogie zur Dopplerverschiebung beim Schall die Geschwindigkeit der Sternsysteme relativ zur Erde bestimmen. Hubble trug die Relativgeschwindigkeit dieser Nebel in Abhängigkeit von deren Entfernung auf und stellte einen linearen Zusammenhang fest: Je weiter die Nebel entfernt waren, egal in welche Richtung, umso schneller schienen sie sich von uns wegzubewegen, d.h. Fluchtgeschwindigkeit = H * Abstand! Die Größe H bezeichnet hierbei die Hubble Konstante und die Gleichung selbst ist als Hubble Gesetz bekannt.  Das Ergebnis verblüfft: Befinden wir uns doch im Zentrum des Universums? Und warum streben alle Galaxien von uns weg? Zudem, wenn die Galaxien schon morgen weiter entfernt sind als heute, müssen sie gestern näher gewesen sein, d.h. alles müsste vor langer Zeit in einem Punkt – dem Urknall - entstanden sein! Die Konsequenzen waren erneut revolutionär. Die vom Belgischen Physiker und Theologen Georges Lemaitre 1927 geäußerte Vermutung eines dynamisch expandierenden Universums, wurde auf diese Weise von Hubble bestätigt und seine Beobachtung war die erste Säule des heutigen Urknallmodells. Rückblickend waren Hubbles Messungen nahezu um einen Faktor 10 falsch, aber das Gesetz als solches trotzdem richtig. Auch befinden wir uns natürlich nicht im Zentrum des Universums, sondern es ist der Raum selbst, der sich kontinuierlich bis in alle Ewigkeiten ausdehnt, sodass wir überall im Universum die gleiche Expansionsbeobachtung machen würden.

Vor etwa 10 Jahren fanden Wissenschaftshistoriker heraus, dass der schwedische Astronom Knut Lundmark die gleichen Hinweise auf eine Expansion des Universums bereits 1924 entdeckte hatte, und zwar mit viel höherer Präzision als Edwin Hubble. Da Lundmarks Methoden der Entfernungsmessung seinerzeit nicht allgemein anerkannt wurden, blieben seine Messungen jedoch nahezu unberücksichtigt.

Und trotzdem ist das Universum endlich. Das wiederum kann man als Mensch kaum begreifen und sich noch viel weniger vorstellen. Können Sie das erklären?

Kampert: Das ist in der Tat kaum zu begreifen, weil wir uns aufgrund unseres begrenzten Erfahrungshorizonts weder die Dimensionen des Universums noch einen dynamischen Raum vorstellen können. Vielmehr sind wir es gewohnt, uns in einem statischen dreidimensionalen Raum zu bewegen, Orte zu bestimmen und die zeitliche Abfolge von Ereignissen in diesem Raum zu erfassen. Während in der speziellen Relativitätstheorie von Albert Einstein der Raum noch immer getrennt von der Zeit betrachtet wird, fügen sie sich in der allgemeinen Relativitätstheorie zur so genannten vierdimensionalen Raumzeit zusammen; die Zeit wird ein unlöslicher Teil des Raums. Der niederländische Astronom Willem de Sitter zeigte schließlich, dass Einsteins Gleichungen auch den Allgemeinfall gekrümmter dynamischer Räume zuließen. Diese Erkenntnis veranlasste Einstein wiederum dazu, eine von ihm künstlich eingeführte Größe zur Aufrechterhaltung eines statischen Universums als seine „größte Eselei“ zu bezeichnen. Mit unserer limitierten Vorstellungskraft über Raum und Zeit befinden wir uns also in guter Gesellschaft!

Die Endlichkeit des Universums ist dennoch eine unweigerliche Konsequenz des endlichen Alters des Universums von etwa 14 Milliarden Jahren. Im Urknall sind gleichzeitig Zeit und Raum entstanden und seither expandiert dieser Raum mit uns irgendwo darin. Dennoch gibt es keinen „Rand“ des Universums, einfach, weil es keinen Raum außerhalb des Universums gibt, in dem man diesen Rand wahrnehmen könnte.

Jüngere Generationen kennen seinen Namen vor allem durch das nach ihm benannte Hubble Weltraumteleskop, dass noch bis 2026 eingesetzt werden soll. Wo bewegt es sich, und was misst es?

Kampert: Das Hubble Weltraumteleskop beobachtet bereits seit 33 Jahren den Weltraum und ist mit einer Länge von mehr als 13 Metern und einem Gewicht von rund 11 Tonnen etwa so groß wie ein Schulbus. Es umrundet die Erde alle 96 Minuten in einer Höhe von ca. 550 km. Sein Kernstück ist ein Spiegel mit einem Durchmesser von 2,4 m, an dem 5 Instrumente das Licht vom ultravioletten bis in den nahen Infrarotbereich mit höchster Auflösung nachweisen. Eine Besonderheit des Hubble Teleskops ist, dass es aufgrund seines Orbits mit dem NASA Space-Shuttle angeflogen werden kann, um Service-Arbeiten durchführen zu können. Diese waren auch gleich zu Beginn erforderlich, da das Teleskop – wie man erst im Orbit feststellte – aufgrund von Justage- und Schlifffehlern des Hauptspiegels „kursichtig“ war und keine scharfen Bilder lieferte. Glücklicherweise konnten diese schnell behoben werden und seither hat uns das Hubble-Teleskop eine unglaubliche Vielzahl von Entdeckungen und Erkenntnissen beschert, deren Aufzählung den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. Erwähnen möchte ich jedoch im Zusammenhang mit Edwin Hubbles Beobachtungen die Messungen eines amerikanischen Teams, die zur Erkenntnis geführt haben, dass das Universum sich seit einigen Milliarden Jahren beschleunigt ausdehnt. Hierfür wurde im Jahre 2011 der Nobelpreis Physik verliehen.

Wie ein 33-jähriger Schulbus zeigt auch das Hubble Teleskop inzwischen Abnutzungserscheinungen, die zum Ausfall einiger Komponenten geführt haben. Hubble soll aber noch bis mindestens 2026 betrieben werden, und vielleicht sogar bis Mitte der 2030er Jahre, sofern die inzwischen abgesunkene Umlaufbahn nochmals angehoben werden kann. Abgelöst werden soll das Hubble-Teleskop in naher Zukunft vom Nancy-Grace-Roman-Weltraumteleskop, welches nach vorläufiger Planung im Mai 2027 gestartet werden soll und ebenfalls über einen 2,4 m großen Hauptspiegel verfügt. Das James-Webb-Weltraumteleskop wurde bereits im Dezember 2021 gestartet und erweitert die optischen Messungen von Hubble in den Infrarotbereich, der besonders für Beobachtungen des frühen Universums wichtig ist. Wir dürfen also weiter auf viele spannende Ergebnisse und neue Erkenntnisse hoffen.

Uwe Blass

Prof. Dr. Karl-Heinz Kampert studierte von 1977 bis 1983 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Physik. Von 1983 bis 1986 war Kampert wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Westfälischen Wilhelms-Universität und promovierte 1986. Anschließend war er für drei Jahre als postdoktoraler Forschungsstipendiat an der Großforschungseinrichtung CERN in der Schweiz tätig. Von 1989 bis 1995 war er Assistenzprofessor für Physik an der Münsteraner Universität, währenddessen habilitierte er sich 1993. Anschließend lehrte er als Professor der Physik an der Universität Karlsruhe und dem Forschungszentrum Karlsruhe, die 2009 beide zum Karlsruher Institut für Technologie fusionierten. Seit 2003 lehrt er schließlich Experimentalphysik an der Bergischen Universität Wuppertal.

 

 

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