Herrschaftliche Bestattungsriten
PD Dr. Arne Karsten / Geschichte
Foto: Sebastian Jarych

Die religiöse, soziale und politische Komponente der getrennten Bestattung

Der Historiker Dr. Arne Karsten über herrschaftliche Bestattungsriten

´Hier ruht das Herz von Richard, König von England`, steht auf einem Bleikästchen, welches 1838 bei Ausgrabungen in der Kathedrale von Rouen in Frankreich entdeckt wurde. Darin hatte man 1199 das einbalsamierte Herz von Richard Löwenherz in feinstes Leinen gehüllt beigesetzt. Sein Körper ruht indes in der Abtei Fontevraud in Anjou. Getrennte Bestattungen nennt man diese Form der Beisetzung, die es schon bei den alten Ägyptern gab. „Nach dem Tod wird der Körper ausgeweidet, die Innereien werden entnommen und ein Teil der Innereien getrennt vom Körper, an einem anderen Ort, beigesetzt“, erklärt der Historiker Arne Karsten, der an der Bergischen Universität Geschichte der Neuzeit lehrt. Das Herz werde dabei sehr oft getrennt beigesetzt, aber auch andere Organe, wie Augen, das Gehirn oder sogar die Zunge wurden meist in kupfernen Behältnissen in Spiritus eingelegt und dann zugelötet an anderer Stelle zur letzten Ruhe gebettet.

Kanopenkrüge. Ägyptisches Museum Berlin
Foto: CC BY-SA 2.5

Erste europäische getrennte Bestattung fand 1056 statt.

Getrennte Bestattungen fanden bei den alten Ägyptern bereits 2500 v. Chr. statt. Zu den ersten historisch belegten getrennten Bestattungen in Europa zählt die Herzbestattung des Salierkaisers Heinrich III. (†1056). Und auch die Kreuzritter wandten diese Leichenteilung an. „Dafür gab es ganz praktische Gründe“, sagt Karsten, „denn der Transport eines Leichnams mit den technischen Möglichkeiten des Mittelalters aus dem Heiligen Land in die Heimat dauerte viel zu lange. Unter diesen Bedingungen ist es eine Frage des praktischen Menschenverstandes, dass man den Leichnam an dem einen Ort belässt und einen Teil, etwa das Herz, in getrocknetem Zustand dann über größere Strecken transportieren kann.“

Das Grabmal Richard Löwenherz` in der Kathedrale von Rouen, wo sein Herz beigesetzt wurde
Foto: gemeinfrei

Mehrere Begräbnisstätten demonstrierten zudem Machtansprüche

Richard Löwenherz ruht in Anjou, sein Herz wurde mitten in seiner aufrührerischen Provinz, der Normandie, in der Kathedrale von Rouen zur Ruhe gebettet. Damit demonstrierte man auch den Machtanspruch über Teile des Reiches über den Tod hinaus. „Die Beisetzung des Körpers hat eine religiöse, sie hatte im Mittelalter aber auch eine soziale und politische Komponente“, erklärt der Historiker, „denn die Anwesenheit der Verstorbenen dient der Welt der Nachlebenden als Referenz- und Legitimationspunkt. Es ist eine Welt, in der Machtansprüche begründet werden durch Tradition. Das ist auch ein Unterschied zur Gegenwart mit unserem Innovationsfetisch. Heute muss man sich ständig ´neu erfinden`. Die Vormoderne denkt ganz anders: das Alte, Bewährte, ist das Gute, die Tradition ist etwas, was legitimiert.“

Grab Ludwig XVII. in Saint-Denis
Foto: gemeinfrei

Verehrung von Reliquien

Diese Art der Bestattung hat auch mit der Reliquienverehrung zu tun. Dazu Karsten: „Da rührt sie im Grunde genommen her, auch wenn man sie gedanklich sauber auseinanderhalten sollte. Die Reliquienverehrung gilt einem verstorbenen Heiligen, dessen Gebet als Fürsprache bei Gott für den Menschen in der Gegenwart in seinem Leben und auch nach seinem Tod von Bedeutung ist. Das ist die eine Denkwelt des Religiösen. Daran knüpft die Bestattung eines Leichnams eines Nichtheiligen, eines Mächtigen an, ohne mit ihr identisch zu sein. Der Heilige wird verehrt als Fürsprecher bei Gott, am Grabmal eines verstorbenen Nichtheiligen betet man für ihn, nicht um seine Fürsprache.“ Daher sei diese Mehrfachbestattung auch so interessant, weil an verschiedenen Orten für das Seelenheil des verstorbenen Sünders gebetet werden könne. „Fürsprache ist für die Existenz im Jenseits von Bedeutung. Die Grundidee ist, dass sich das eigentliche Leben nach christlicher Lehre nach dem Tod abspielt, das ewige Leben. In der Hölle oder im Himmel, und für die meisten von uns mittelmäßigen Sündern erst einmal im Fegefeuer. Der Aufenthalt im Fegefeuer als Reinigungsort für begangene Sünden im Leben, lässt sich aber abkürzen durch die Fürsprache von Heiligen bei Gott. Das ist die Idee des Reliquienkultes.“

Herzbestattung hatte auch politische Bedeutung

In der Gegenreformation versuchten u. a. die Jesuiten, prominente Herzen für ihre Kirchen zu bekommen und diesen Brauch zu fördern, um sich des Wohlwollens der betroffenen Familien zu versichern. Die Herzbestattung bekommt also auch eine politische Bedeutung. „Die hat sie immer gehabt und sie ist gedanklich nur schwer zu trennen von der religiösen Bedeutung.“ Karsten nennt ein konkretes Beispiel: „Für die Instrumentalisierung der Bestattung möchte ich den Würzburger Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn anführen, der 1617 verstarb. Er galt als ein sehr engagierter, als Stifter tätiger Bischof, als Gegenreformator, auch politisch versiert, der eine Vielzahl von Stiftungen machte. U.a. stiftete er das bis heute bestehende Juliusspital in Würzburg sowie die neue Universität Würzburg. Und dann machte er etwas, was in diesem Zusammenhang interessant ist. Er weicht von einer Jahrhunderte alten Tradition der Würzburger Bischöfe, die Herzen im Kloster Ebrach beizusetzen, ab und lässt sein Herz auf ausdrücklichen Wunsch in der Universitätskirche beisetzen, um seine Verbundenheit, mit dieser ihm besonders am Herzen liegenden Stiftung, über den Tod hinaus, zu beweisen.“

Getrennte Bestattungen des Hochadels enden offiziell 1878

Die getrennte Bestattung war in Hof- und Klerikerkreisen europaweit sehr ausgeprägt. Seit dem 17. Jahrhundert hat die österreichische Habsburgerdynastie dieses Ritual besonders gepflegt, und obwohl dieses Protokoll 1878 offiziell beendet wurde, fand das letzte imperiale Begräbnis dieser Art erst 1989 vor 6000 Trauergästen statt. „Und das war Kaiserin Zita von Bourbon-Parma, die Frau des letzten Habsburger Kaisers, der bereits 1925 gestorben ist. Daran sieht man, wie diese Tradition buchstäblich, verinnerlicht ist, dass sie weit über dem politischen Wirksamkeitszeitraum der Familie Habsburg bis in die Gegenwart praktiziert wird.“

Neben Hochadel und Klerus ließen sich aber auch Bürgerliche getrennt bestatten. Frederic Chopin oder Lord Byron sind bekannte Beispiele. „Auch hier kann man über den Tod hinaus Verbundenheit mit einem bestimmten Ort symbolisieren. Was für den Geistlichen und den Mächtigen gilt, gilt ebenso für den Künstler“, sagt Karsten, „diese Prominenz über den Tod hinaus ist offensichtlich von allgemeinem Interesse gewesen.“

Polen fordert Herz des Papstes Johannes Paul II.

Herzbestattungen faszinieren bis heute die Menschen. So forderten nach einem Bericht von CNN die Polen 2005 das Herz von Papst Johannes Paul II, um es auf der Burg Wawel in Krakau neben anderen Größen des polnischen Volkes zu bestatten. Dazu Karsten: „Bei Johannes Paul II. darf man nicht vergessen, dass in der Zeit des Kommunismus die katholische Kirche in Polen eine außerordentlich wichtige Opposition gegen die gesellschaftlichen Allmachtsansprüche der kommunistischen Partei bildete. Diese Rolle ist von besonderer Bedeutung, weil Johannes Paul II. noch zur Zeit des Kalten Krieges 1978 gewählt wurde, und das hat man in Polen nicht vergessen. Man möchte diese herausragende Position des ersten aus Polen stammenden Papstes dadurch zu Ausdruck bringen, dass man diese Verbundenheit materiell durch das Herz zum Ausdruck bringt.“

Herzurne des Dauphins
Foto: gemeinfrei

Medienwirksame Herzbestattung des letzten Dauphins 209 Jahre später

Spektakulär ist auch die Geschichte um die Herzurne des letzten französischen Thronfolgers Ludwig XVII. Als das 10jährige Kind 1795 im Gefängnis starb, bewahrte der Arzt das konservierte Herz auf. Moderne Untersuchungen identifizierten im Jahr 2000 mittels Genanalyse das Herzgewebe als das des Dauphins. Daraufhin wurde die Herzurne am 8. Juni 2004 unter Anteilnahme des europäischen Hochadels in Saint-Denis neben den Sarkophagen seiner Eltern neu bestattet. „Das zeigt, die Frage nach der Tradition ist charakteristisch für die Denkwelt der aristokratischen Traditionsverbundenheit bis heute. Der Bürgerliche definiert sich über seine Leistung, der Adelige ist etwas und zwar durch die Tradition seiner Familie.“

In der Moderne haben sich diese Traditionen mehr und mehr verloren. „Zu den größten Verlierern des Modernisierungsprozesses gehören die Toten“, stellt Karsten daher auch unmissverständlich fest, „denn die Vergangenheit erinnert, denkt man an die Grabmäler, die Mehrfachbestattung, an den Zusammenhang zwischen Verstorbenem und der Nachwelt.“ Karsten leitet seit 2009 federführend das an der Humboldt-Universität initiierte Projekt „Requiem – Die römischen Papst- und Kardinalgräber der frühen Neuzeit“. Ziel ist es, die Grablegen und Grabmäler der Päpste und Kardinäle, deren Gestalt, Entstehungszeitraum, Auftraggeber und beteiligte Künstler zu erfassen und in einer Datenbank allen Wissenschaftler*innen interdisziplinär zugänglich zu machen. „Heute ist die anonyme Urnenbestattung das Gebot der Stunde“, sagt er abschließend, „und da kommt eine völlig andere Welt zum Ausdruck.“

Weitere Informationen zum Projekt: https://requiem-projekt.de/

Uwe Blass

PD Dr. Arne Karsten (*1969) studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Göttingen, Rom und Berlin. Von 2001 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin. Seit dem Wintersemester 2009 lehrt er als Junior-Professor, seit der Habilitation 2016 als Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität.