
Heisenberg und die Quantenmechanik
Apl. Prof. Dr. Dirk Lützenkirchen-Hecht / Physik
Foto: UniService Third Mission
Revolution in der Physik
Dirk Lützenkirchen-Hecht über Werner Heisenberg und die Quantenmechanik
Herr Lützenkirchen-Hecht, die Quantenmechanik entstand 1925 durch Werner Heisenberg. Wer war dieser Ausnahmewissenschaftler?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Ein kleiner Widerspruch direkt zu Anfang, strenggenommen, war natürlich Max Planck der Begründer der Quantenphysik. Der hat ja schon 1900 im Grunde genommen den Begriff Quant eingeführt und dafür auch 1918 den Nobelpreis für Physik bekommen. Aber man verbindet natürlich Quantenphysik vor allem mit Werner Heisenberg. Heisenberg ist in einer Akademikerfamilie groß geworden. Sein Urgroßvater war in der Kunst aktiv und hat den ´goldenen Schnitt` sozusagen mit vorbereitet. Die Eltern waren letztendlich interdisziplinär unterwegs. Musik, Kunst, Geschichte. Literatur, da war irgendwie alles da. Sein Vater war Professor für Byzantinistik in München, ihm wurde sozusagen die Wissenschaft mit in die Wiege gelegt. Am Anfang wusste er eigentlich gar nicht, was er machen sollte. Er war sehr musikalisch, konnte auch sehr gut Klavier spielen und hat das auch während seiner Lehrtätigkeit in den Universitäten immer gepflegt. Aber Naturwissenschaften waren auch für ihn interessant, vor allem mathematische Methoden fand er spannend. Er hat sich für Physikalische Prozesse und Phänomene sehr interessiert und wollte wissen, wie da die Mathematik hineinspielt, so dass er sich letztendlich für ein Physikstudium entschied. Die strengen mathematischen Konzepte haben ihn fasziniert, daher würde ich ihn als den Gründungsvater der theoretischen Physik, oder der mathematischen Physik bezeichnen.
Was bedeutet die Quantenmechanik?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Letztlich ist es die Grenze von dem, was wir als klassische Physik kennen. Ein Beispiel: Wenn ich jetzt einen Topf mit Wasser anschaue, dann geht das Wasser sozusagen bis auf den Grund, und das nennen wir als Physiker den Grundzustand, der Zustand der niedrigsten Energie. Wenn ich jetzt diesen Wassertopf immer kleiner mache, dann kann man schon sehen, dass das Wasser steigt, die Energie wird also eingesperrt. Und die Quantenmechanik geht noch einen Schritt weiter. Wenn ich den Raum, auf den ich die Materie beschränke, noch kleiner mache, dann treten ganz komische Effekte auf. Das ist das, was Heisenberg als erster gesehen hat. Beispielsweise –und das kennen wir auch-, Licht fällt durch eine Tür und ich habe einen Schattenwurf seitlich der Tür, weil das Licht geradeaus durchscheint. Wenn ich die Tür so klein mache, dass sie in die Größenordnung der Wellenlänge des Lichts kommt, dann treten neue Effekte auf, denn dann wird das Licht hinter dem Spalt wieder breiter, was ja eigentlich aus der klassischen Erfahrung heraus nicht möglich ist. Das ist das, was man mit der Heisenberg`schen Unschärferelation beschreiben kann. Wenn man also Materie und Licht auf kleine Räume einsperrt, dann tritt eine neue Physik auf, neue Phänomene, die man mit klassischen Methoden im Grunde genommen nicht mehr erklären kann.
Warum konnte die Atomphysik das Verhalten komplizierter Atome und Moleküle Anfang der 1920er Jahre auf einmal nicht mehr beschreiben?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Zum einen ist die Experimentalphysik weitergeschritten, man konnte bestimmte Sachen einfach genauer messen, weil man Messgeräte dafür hatte, also z B. Spektrometer, um die Farbspektren von Gasen und Molekülen genauer zu messen. Und dann hat man eben Unstimmigkeiten gefunden. Man kann das am schönsten an der Beschreibung des Sonnenspektrums sehen. Die Spektrallinien konnte man mit den klassischen Methoden nicht erklären und erst durch die Modelle von Heisenberg und auch anderer seiner Kollegen verständlich machen. Nils Bohr beispielsweise, der hat letztlich auch von den Experimentalphysikern die Daten genommen, hat damit Kombinatorik betrieben und dann ein qualitatives Modell erstellt, aber Heisenberg war dann derjenige, der es auch umfänglich erklären konnte.

Werner Heisenberg, 1933,
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Diese Unvollkommenheiten in der Atomtheorie störten den Wissenschaftler Werner Heisenberg. 1925 vollendete er seine grundlegende Arbeit „Über die quantentheoretische Umdeutung kinematischer und mechanischer Beziehungen". Mit diesen Ergebnissen führte er eine widerspruchsfreie Quantenmechanik herbei. Was war das bahnbrechende dabei?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Das wirklich bahnbrechende dabei ist, dass man mehrere Eigenschaften prinzipiell nicht gleichzeitig messen kann. Das ist aber kein Messfehler, kein ungenaues Experiment, sondern es geht schlicht und grundlegend einfach nicht. Heisenberg war der erste, der gezeigt hat, dass im Grunde eine gleichzeitige Messung von mehreren Eigenschaften unmöglich ist. Ort und Impuls, Zeit und Energie sind komplementäre Größen.
Gemeinsam mit Niels Bohr, Max Born und Pascual Jordan entwickelte er die Unschärferelation und machte den Prinzipien der „klassischen Physik“ ein Ende. Da gab es doch bestimmt auch Protest aus den eigenen Reihen, oder?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Ja sicher. Man muss das auch im zeitlichen Kontext sehen. Diese Ideen waren schon revolutionär und es gab ganz viele, die sich auch massiv dagegen gewehrt haben. Dazu kam noch ein paar Jahre später die Machtergreifung der Nazis, und dann gab es ja auch die „deutsche Physik“, Typen wie Johannes Stark, der den nach ihm benannten Stark-Effekt entdeckt hatte und gegen Heisenberg wetterte. Man nannte die Wissenschaftler um Heisenberg auch die ´jungen Wilden`. Heisenberg hat mit weniger als 25 Jahren promoviert und war schon mit 28 Jahren Professor. Die Gegenwehr endete dann, als es genügend experimentelle Befunde gab und man die Richtigkeit seiner Befunde anerkannte.

Werner Heisenberg und die Unschärferelation in originaler Form auf einer deutschen Briefmarke
Foto: gemeinfrei
1933 erhielt er dafür den Nobelpreis für Physik. Aber Heisenberg war auch auf anderen Gebieten ein erfolgreicher Forscher und beschäftigte sich mit Kernphysik und Reaktorphysik. Sehr umstritten ist seine Mitwirkung bei der Entwicklung der Atombombe unter der Naziherrschaft. Was hat er beim sogenannten Uranprojekt gemacht?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Es gab in Deutschland die Bestrebung nach modernen Waffen. Die Kernspaltung war 1938 durch Otto Hahn entdeckt worden, den ersten Kernreaktor hatte man schon 1942 zum Laufen bekommen und dann gab es diese Riesenmenge an Energie, die dabei freigesetzt werden konnte und die Bestrebung, daraus eine Bombe zu bauen. Heisenberg war Theoretiker, hatte Interesse auch an Kernphysik, weil auch das alles Phänomene sind, die auf kleinen Skalen ablaufen. Er war prädestiniert dafür, dies alles einmal auszurechnen und zu sagen, was getan werden muss, um so eine Bombe herzustellen. Seiner Expertise zufolge hätte man aber die Menge an Uran, die nötig gewesen wäre, nicht so schnell beschaffen können, so dass das Interesse der Nazis daran dann nachließ. Angeblich hat Heisenberg, das wird zumindest gesagt, seinen Kollegen Niels Bohr in Kopenhagen getroffen und ihm zu verstehen gegeben, dass Deutschland sich von dieser Technik zurückziehe. Bohr hat das aber anders interpretiert und gedacht, die Deutschen arbeiten mit Hochdruck an der Bombe und hat damit hintenherum den Bau der Atombombe bei den Amerikanern getriggert. Heisenberg war in der Kernphysik schon sehr aktiv und hat auch selber gesagt, man hätte auch mit Plutonium eine Atombombe bauen können. Da hätten sicher 15 Kilo gereicht. Man weiß nicht, ob er dieses Wissen bewusst vor den Nazis verschwiegen hat. Jedenfalls wurde auch er nach dem Krieg mit allen, die am Uranprojekt beteiligt waren, interniert und war sehr schockiert, als er vom Abwurf und den Folgen der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki erfuhr. Später hat er sich massiv gegen Kernwaffen eingesetzt.
Heisenberg gilt auch als Vordenker der sogenannten Chaostheorie der 1970er Jahre. Was hat es damit auf sich?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Da ist er wieder auf dem Weg zurück zu seinen Anfängen. Er kam immer schon mit einem mehr mathematisch getriebenen Interesse und hat sich im Rahmen seiner Dissertation mit turbulenter Strömung auseinandergesetzt. Das kennen wir alle aus der Alltagserfahrung, so ein windschnittiges Auto, da strömt die Luft schön gleichmäßig, es erzeugt wenig Wirbel, wenig Chaos. Mit gleicher Leistung kann ich mit so einem windschnittigen Auto viel schneller fahren als mit einem VW-Käfer. Heisenberg hat sich mit diesem Thema mathematisch auseinandergesetzt. Wenn man eine turbulente Strömung hat, dann bewegt sich die chaotisch. Da sind diverse Verwirbelungen usw., das kann man auch in Flüssigkeiten beobachten, wenn das Wasser beispielsweise in der Badewanne abläuft. Mathematisch sind das sehr einfache Gleichungen mit wenigen Formelbuchstaben, aber, wenn man sich die Lösungen ansieht, dann werden das sehr komplizierte und komplexe Gleichungen. Heisenberg hat sich zeitlebens dafür interessiert, aber Anfang der 1970er Jahre wieder besonders. Neben den genannten Verwirbelungen kann man diese Chaostheorie auch an Verkehrsstaus oder bei Chaos in der Wirtschaft anwenden und berechnen und dann auch Vorhersagen treffen. Der Ursprung dazu ist schon 1924 in Heisenbergs Doktorarbeit zu finden. Auch was wir heute als neuronale Netze oder Künstliche Intelligenz bezeichnen, das resultiert letztlich aus seinen Aktivitäten heraus. Er war schon ein kleines Universalgenie.
Wie erinnern wir uns heute an ihn?
Dirk Lützenkirchen-Hecht: Das, was vor allem zurückbleibt, ist seine Unschärferelation. Er war u.a. aber auch einer der Gründungsväter des CERN (Das CERN, die Europäische Organisation für Kernforschung, ist eine Großforschungseinrichtung in der Nähe von Genf, Anm. d. Red.), er hat die Verträge gestaltet, die heute noch greifen. Er hat Max-Planck-Institute in Göttingen und München gegründet, bzw. auch geleitet und er war im Forschungsrat und hat die Bundesregierung in den 50er und 60er Jahren beraten.
All das ist leider ein wenig hinter seiner Unschärferelation verloren gegangen.
Uwe Blass
Apl. Prof. Dr. Dirk Lützenkirchen-Hecht ist Mitglied des Instituts Kondensierte Materie – Röntgenphysik in der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften an der Bergischen Universität.