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Mobilität weltweit

„Internationale Perspektiven sind für den Unterricht an deutschen Schulen unerlässlich“

02.07.2025|15:15 Uhr

Auslandserfahrungen sind im Lehramtsstudium bislang keine Selbstverständlichkeit – und doch essenziell für den Beruf. Die diesjährige Weltlöwen-Preisträgerin Dr. Jule Lorleberg zeigt mit ihren Projekten, wie sich neue Wege für alle Lehramtsstudierenden öffnen lassen – auch für jene, denen ein Auslandsaufenthalt bisher unmöglich schien.

Weltlöwen-Preisträgerin Jule Lorleberg // Foto Friederike von Heyden

Frau Lorleberg, herzlichen Glückwunsch zum Weltlöwen! Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung persönlich?
Vielen Dank! Die Auszeichnung bedeutet mir sehr viel, weil sie ein Thema würdigt, das mir seit meinem eigenen Lehramtsstudium besonders am Herzen liegt. Schon damals habe ich durch Auslandspraktika und Austauschprogramme erlebt, wie bereichernd internationale Perspektiven für die persönliche und professionelle Weiterentwicklung sein können – und gleichzeitig, wie wenig selbstverständlich dieser Aspekt bislang in der Lehrer*innenbildung verankert ist. Gerade in einem Berufsfeld, in dem schon ein Arbeitsplatzwechsel über Bundeslandgrenzen hinaus eine große Herausforderung darstellen kann, wird der Wert internationaler Erfahrung oft unterschätzt. Umso schöner ist es, dass der Weltlöwe öffentlich sichtbar macht, wie wichtig Offenheit, Austausch und internationale Perspektiven für die Ausbildung angehender Lehrer*innen sind.

Sie koordinieren die Modellprojekte „L-GrIn“ und „L-GrIn+“. In drei, vier Sätzen: Was genau verbirgt sich hinter diesen Projekten – und was ist das Besondere daran?
Die vom DAAD geförderten Projekte L-GrIn und L-GrIn+ richten sich an Studierende mit dem Berufsziel Grundschullehramt oder Sonderpädagogische Förderung und ermöglichen ihnen, Studien- und Praxiserfahrungen an europäischen Partneruniversitäten und Schulen zu sammeln. Ergänzend entwickeln wir gezielt Angebote der Internationalisation@home, um internationale Perspektiven auch ohne Auslandsaufenthalt zugänglich zu machen. Dabei richten sich unsere Projekte besonders an Studierende, für die im Studium kein verpflichtender Auslandsaufenthalt vorgesehen ist – und die häufig zu den mobilitätsschwachen Gruppen zählen, etwa als First Generation Studierende oder aufgrund von Erwerbstätigkeit oder familiären Verpflichtungen. Durch klar strukturierte, fächerübergreifend verankerte Formate mit curricularer Einbindung, Anerkennungssicherheit und finanzieller Unterstützung gelingt es uns, reale Mobilitätshürden gezielt abzubauen.

Was waren besondere Herausforderungen in der Projektentwicklung oder -umsetzung?
Natürlich begegnen uns im Projektverlauf kommunikative Herausforderungen – diese hängen jedoch meist weniger mit kulturellen Unterschieden zusammen, sondern ergeben sich eher aus personellen oder situativen Gegebenheiten, wie wir sie auch von der Zusammenarbeit mit deutschen Partnern kennen. Insgesamt erleben wir bei unseren Partnerhochschulen eine große Offenheit und Bereitschaft, gemeinsam internationale Wege in der Lehrer*innenbildung zu gehen. Eine zentrale Herausforderung, die uns dabei alle verbindet, ist es, die vergleichsweise mobilitätsschwache Gruppe der Lehramtsstudierenden für internationale Angebote zu gewinnen. Hinzu kommt: Während es an einigen Partnerstandorten sogenannte Mobilitätsfenster gibt, in denen Studierende beispielsweise im vierten Semester regulär einen Auslandsaufenthalt absolvieren und vollständig anerkennen lassen können, ist dies in Wuppertal so nicht möglich. Unsere Lehramtsstudierenden studieren an mehreren Fakultäten gleichzeitig, wodurch Auslandsaufenthalte individuell in den Studienverlauf eingeplant werden müssen. Das erfordert ein hohes Maß an fächerübergreifender Beratung und Koordination – insbesondere mit Blick auf Anerkennungsfragen.

Gab es einen Moment im Projektverlauf, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Das Berufsfeldpraktikum International an der Université de Lorraine in Frankreich, das wir in der vorlesungsfreien Zeit im Wintersemester anbieten, war ein solcher Moment. Eine Studierende berichtete danach: „Ich habe jetzt keine Angst mehr, Kinder zu unterrichten, die kaum oder gar kein Deutsch oder Englisch sprechen. Ich weiß, dass man immer einen Weg findet, miteinander zu kommunizieren – notfalls auch mit Händen und Füßen.“ Solche Rückmeldungen bewegen mich sehr, denn sie zeigen, dass diese angehende Lehrkraft sprachlicher und kultureller Diversität im Klassenzimmer mit Offenheit, Empathie und Handlungssicherheit begegnen wird – und diese Haltung als Multiplikator*in an die nächste Generation weitergibt. Der beste Weg, solche Haltungen zu fördern, ist es, eigene Erfahrungen mit Fremdheit gemacht zu haben.

Warum ist internationales Engagement im Lehramtsstudium aus Ihrer Sicht so wichtig?
Im Lehramtsstudium ist vielen Studierenden zunächst nicht bewusst, warum Internationalisierung für ihren späteren Beruf relevant sein sollte – anders als etwa in den Wirtschaftswissenschaften, wo Auslandsaufenthalte im Lebenslauf mit besseren Jobchancen verknüpft sind. Viele angehende Lehrkräfte haben bereits früh einen konkreten Schulstandort oder ein Bundesland im Blick. Doch gerade die zuvor erwähnte Mehrsprachigkeit zeigt, dass internationale Perspektiven auch für den Unterricht an deutschen Schulen unerlässlich sind. Dabei geht Internationalisierung weit über den Umgang mit Kindern mit Zuwanderungsgeschichte hinaus: Sie bietet die Gelegenheit, neue didaktische Konzepte, Methoden und Unterrichtsmodelle kennenzulernen – und daraus Impulse für die eigene schulische Praxis und Schulentwicklung mitzunehmen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Bildungssystem entsteht oft erst dann, wenn man alternative Konzepte und Strukturen im Ausland kennengelernt hat.

Welche Kompetenzen brauchen Lehrer*innen in einer zunehmend globalisierten Welt – und wie tragen Ihre Projekte dazu bei, diese zu vermitteln?
Ich vermeide bewusst den Begriff der „Kompetenzvermittlung“, da es mir nicht darum geht, etwas einseitig weiterzugeben. Vielmehr geht es in unseren Projekten darum, Räume zu schaffen, in denen Studierende sich aktiv mit Themen wie Diversität, Mehrsprachigkeit und der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen auseinandersetzen – und dadurch eigene Haltungen entwickeln und reflektieren können. Sie lernen andere Bildungssysteme und Schulkonzepte kennen, hinterfragen sie und vergleichen sie mit dem eigenen System. Genau dieser Perspektivwechsel fördert Neugierde und die Bereitschaft, innovative Ansätze aufzunehmen. In einer sich rasant wandelnden Gesellschaft ist es zentral, dass zukünftige Lehrkräfte flexibel, kritisch und reflektiert auf neue Herausforderungen reagieren können – auch, um Bildung in Deutschland weiterzuentwickeln, wo Strukturen oft noch vergleichsweise starr sind. 

Wie kann man das Interesse und Engagement von Lehramtsstudierenden für internationale Themen gezielt fördern?
Zentral an dieser Stelle sind niederschwellige Angebote, die gut in den Studienverlauf integrierbar sind. Kurzzeitformate im nahen europäischen Ausland – etwa Schulpraktika oder Summer Schools während der vorlesungsfreien Zeit – senken Einstiegshürden und motivieren auch zu längeren Auslandsaufenthalten. Wichtig ist zudem eine gezielte Ansprache: Internationale Erfahrungen sollten nicht nur Lehramtsstudierenden mit Fremdsprachenstudium vorbehalten sein – sie gehören in alle Fächer und Studienrichtungen. Dafür braucht es ein zielgruppenspezifisches Informations- und Beratungsangebot und vor allem eine klare Verankerung internationaler Perspektiven im Curriculum. Letztlich geht es auch darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, warum Internationalisierung für den späteren Lehrer*innenberuf relevant ist.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen – und die größten Chancen – bei der Internationalisierung des Lehramtsstudiums?
Eine der größten Herausforderungen liegt in der Studienstruktur: Lehramtsstudierende sind in der Regel in mehreren Fächern und Fakultäten eingeschrieben, was die Planung internationaler Formate komplex macht. Umso wichtiger ist die enge Zusammenarbeit mit den Dozierenden aller an der Lehrer*innenbildung beteiligten Fächer – etwa auch, um englischsprachige Lehrangebote für ausländische Studierende (Incomings) anbieten zu können. Eine weitere Herausforderung ist die Suche nach passenden Partnerhochschulen im Ausland, die ähnliche Studienziele und Curricula haben. Gleichzeitig eröffnet dieser Aspekt große Chancen: Durch langfristige Kooperationen können Formate entstehen, die Studierende wie Lehrende nachhaltig bereichern – etwa durch physische Mobilität, durch Internationalisation@home oder durch transnationale Forschungsprojekte in der Lehrer*innenbildung. Darüber hinaus kann eine gezielte Internationalisierung wesentlich zur Steigerung der Attraktivität und Sichtbarkeit der Lehramtsstudiengänge beitragen – sowohl im Vergleich zu anderen Studienangeboten als auch im Wettbewerb zwischen Hochschulstandorten. Durch ein international ausgerichtetes Curriculum und eine erhöhte räumliche Flexibilität lässt sich die Konkurrenzfähigkeit der BUW im Bereich der Lehrer*innenbildung stärken. Gleichzeitig wird damit ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels geleistet.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von „L-GrIn“ und „L-GrIn+“ – und ganz allgemein für internationale Kooperationen an der Bergischen Universität?
Ich wünsche mir, dass „L-GrIn“ und „L-GrIn+“ sowie internationale Kooperationen an der Bergischen Universität insgesamt die Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhalten, die sie verdienen – insbesondere in der Lehrer*innenbildung, die einen großen Teil der Studierenden an der BUW betrifft. Besonders wichtig ist mir, dass die im Rahmen der Projekte entstandenen Partnerschaften, Formate und Strukturen auch über den Förderzeitraum hinaus Bestand haben. Dies gelingt nur durch eine enge Zusammenarbeit aller an der Lehrer*innenbildung beteiligten Akteur*innen sowie durch eine nachhaltige Finanzierung der Angebote. Ich hoffe, dass curricular verankerte Angebote zur Mobilität und Internationalisation@home bald eine Selbstverständlichkeit in den Lehramtsstudiengängen werden, um zukünftige Lehrkräfte bestmöglich auf die Herausforderungen einer vielfältigen und sich wandelnden Bildungslandschaft vorzubereiten.

Was motiviert Sie persönlich, sich so intensiv für internationale Bildungsprojekte einzusetzen?
Mich motiviert vor allem die Überzeugung, dass Bildung der Schlüssel zu Verständigung, Offenheit und friedlichem Zusammenleben ist – gerade in dieser weltpolitisch angespannten Zeit. Internationale Bildungsprojekte schaffen Räume für ein gemeinsames Lernen über nationale, sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg. Sie bieten die Chance, zukünftige Lehrkräfte frühzeitig für internationale und innovative Perspektiven zu sensibilisieren – gerade, weil viele Strukturen in unserem Bildungssystem noch nicht ausreichend auf die Anforderungen einer diversen Schüler*innenschaft ausgerichtet sind.